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Möglichkeiten derAuseinandersetzung mit Biografienvon Anja CantzlerGrundlagenDas LogoCorporate DesignWiFF – WeiterbildungsinitiativeFrühpädagogische FachkräfteDas ZeichenDas Logo der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräftesoll ausschließlich in der anbeiabgebildeten Originalform und-farbigkeit verwendet werden.Es darf nicht verzerrt und nicht inseiner Farbigkeit verändert werden.Bitte benutzen Sie die dazu zurVerfügung gestellten digitalenDruckvorlagen.Größen (in %)Briefbogen25 %Broschüre DIN A430 %Flyer DIN lang23 %MindestabständeKiTa Fachtexte ist eine Kooperationder Alice Salomon Hochschule,der FRÖBEL-Gruppe und derWeiterbildungsinitiativeFrühpädagogische Fachkräfte(WiFF). Die drei Partner setzen sichfür die weitere Professionalisierungin der frühpädagogischenHochschulausbildung ein.

Möglichkeiten derAuseinandersetzung mit Biografienvon Anja CantzlerABSTRACTDieser Studientext beschreibt auf Grundlage der Biografiearbeit verschiedeneMöglichkeiten, Formen und Methoden für die Auseinandersetzung mit dem Gewordensein von kleinen Kindern, deren Eltern und den pädagogischen Fachkräften in der Arbeit mit Kindern in den ersten Lebensjahren.GLIEDERUNG DESTEXTES1.Einleitung2. Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte2.1. Biografie – Definition und Merkmale2.2 Formen der Auseinandersetzung mit Biografie2.3 Ziele der Auseinandersetzung mit Biografie2.4 Methoden3. Fazit – Bedeutung der Auseinandersetzung mit Biografie in der Arbeitmit Kindern in den ersten drei Lebensjahren4. Fragen und weiterführende Informationen4.1 Fragen und Aufgaben zur Bearbeitung des Textes4.2 Literatur und Empfehlungen zum Weiterlesen4.3 GlossarINFORMATIONEN ZURAUTORINAnja Cantzler, Diplom Sozialpädagogin, arbeitet seit 2001 als freiberufliche Weiterbildungsreferentin und externe Fachberaterin für Tageseinrichtungen fürKinder. Ihre Schwerpunktthemen sind die Begleitung der konzeptionellen Veränderungsprozesse rund um die Bildung, Betreuung und Erziehung der Kindervon null bis drei Jahren, die Vermittlung des dazugehörigen Hintergrundwissensaus der Bindungstheorie, der Entwicklungspsychologie und der Spiel- und Interaktionspädagogik.Sie ist Fachautorin für den Schwerpunkt Entwicklung und Bildung von Kindernim Alter von null bis drei Jahren, u.a. für „kindergarten heute“.Seit 2010 bietet sie als Mastercoach (DGfC) Leitungskräften und Erzieherinnenaus Tageseinrichtungen und Personen und Teams aus anderen sozialen Arbeitsfeldern prozessorientierte Beratung und Coaching. Ihre Schwerpunkte sind hier–2–

die Weiterentwicklung konzeptioneller Inhalte, die Begleitung von Veränderungsprozessen, die Verbesserung der Teamkommunikation und der Umgangmit Konflikten. Als Lehrcoach begleitet sie die Ausbildung angehender Coaches.Als angehende Supervisorin (DGSV) beschäftigt sie sich mit dem Schwerpunktthema „Ressourcenorientierte Biografiearbeit“ zur Weiterentwicklung der personalen und beruflichen Kompetenzen.–3–

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja Cantzler1. EinleitungIn der pädagogischen Arbeit mit Kindern treffen die Biografien (griech.Lebenswege/-beschreibungen) von den Kindern, ihren Eltern und den pädagogischen Fachkräfte aufeinander. Das ist für die Begegnung mit Kindern von nullbis drei Jahren von besonderer Relevanz.Deren Lebensbeschreibung steckt noch in den Anfängen. In enger Verknüpfungmit dem jeweiligen Lebensumfeld, den Biografien und Lebenshintergründen derEltern und im weiteren durch den Einfluss der pädagogischen Fachkräfte entwickelt sich das Kind und somit seine Biografie.Aus den Erfahrungen und bedeutsamen Erlebnissen und Stationen der jeweiligen Biografien ergeben sich individuelle Stärken und Ressourcen. Diese beeinflussen, bei den Kindern, den Eltern und den pädagogischen Fachkräften, wie sieaus dem bereits Erfahrenem heraus ihre Gegenwart und Zukunft gestalten.Um dies verantwortungsvoll in die professionelle Arbeit einbinden und begleitenzu können, ist es hilfreich, die Möglichkeiten und Chancen der Biografiearbeitzu kennen und mit verschiedenen Methoden vertraut zu sein. Ergänzend hierzukann es sich für die persönliche professionelle Weiterentwicklung als sinnvollerweisen, sich als pädagogische Fachkraft selbst mit der eigenen Biografie zu beschäftigen.Ausgehend von dem Ansatz der Biografiearbeit werden im Folgenden zunächstder Begriff der Biografie definiert, die Besonderheiten der Biografie herausgestellt und verschiedene Teilaspekte für die Auseinandersetzung mit Biografiendargestellt. Es werden verschiedene Methoden vorgestellt und in Kategorien zusammengefasst. Abschließend folgt eine Zusammenfassung über Anwendungsmöglichkeiten für die pädagogische Arbeit mit Kindern von null bis drei, ihrenEltern und die eigene Auseinandersetzung mit Biografie seitens der pädagogischen Fachkräfte.–4–

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja Cantzler2. Auseinandersetzung mit der eigenen LebensgeschichteDie Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte und/ oder derLebens geschichten anderer Menschen ist Gegenstand von unterschiedlichstenDisziplinen und Fachbereichen. Wir begegnen Biografien beispielsweise in derLiteratur- und Geschichtswissenschaft, der Soziologie, der Pädagogik, der Psychologie, der Medizin und der Theologie.BiografiearbeitBiografiearbeit bietet eine Möglichkeit zur professionellen Auseinandersetzungmit der individuellen Lebensgeschichte von Personen. Biografiearbeit ist heuteein Ansatz in der psychosozialen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Es handelt sich um eine Methode, die einen Menschen unterstützt, durchdie Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte die individuelle Verarbeitung lebensgeschichtlicher Ereignisse zu ermöglichen. Diese „biografischeSelbstreflexion“ fördert die individuelle Identitätsfindung (vgl. Gudjons, 2008,16ff). Durch das Reflektieren und Verstehen der eigenen Lebensgeschichte kanneine Person Ressourcen und Kompetenzen entdecken, was wiederum als Grundlage für die persönliche Weiterentwicklung dient. Es geht darum „Vergangeneszu erinnern“, „Gegenwärtiges zu entdecken“, um daraus „Künftiges entwickeln“zu können (vgl. Klingenberger, 2003, S141ff.).Biografiearbeit hat einen wesentlichen Ursprung in der Altenarbeit und findetdarüber hinaus ihre Anwendung in der Erwachsenenbildung, in verschiedenenBeratungsformen wie Coaching und Supervision, in Kontexten der Jugendhilfeplanung und Erziehungshilfe. Biografiearbeit ist nicht als explizite Therapieformzu verstehen, kann jedoch auch in psychotherapeutischen Zusammenhängenangewendet werden. Die Arbeit an der Biografie kann Ausgangspunkt für eineTherapie werden, wenn durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte konflikthafte Denk- und Handlungsmuster und unverarbeitete Problemlagen sichtbar werden.Biografiearbeit in derFrühpädagogikBiografiearbeit ist in allen Lebensphasen anwendbar und einsetzbar. In der Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren sind im direkten Umgang mitden Kindern deren Sprachentwicklungsstand und die kognitive Entwicklung zuberücksichtigen. Einzelne Methoden sind deshalb gegebenenfalls nur eingeschränkt anwendbar. In der Zusammenarbeit mit den Eltern der Kinder in denersten drei Lebensjahren eröffnet die Auseinandersetzung mit den Lebensgeschichten der Kinder und ihrer Eltern ein interessantes Handlungsfeld, um dasLebensumfeld des Kindes besser kennen und verstehen zu lernen. Darüber hinaus bietet die Arbeit an der eigenen Biografie den pädagogischen Fachkräfteneine erweiterte Reflexionsmöglichkeit über die eigene Sozialisation, den damitverbundenen Denk- und Handlungsmustern und eröffnet so den Weg für eineprofessionelle Weiterentwicklung.–5–

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja CantzlerAusgangspunkt der Biografiearbeit sind die Biografien der einzelnen Personen.Daher werden im nächsten Abschnitt der Begriff der Biografie näher definiertund Merkmale von Biografien herausgestellt.2.1 Biografie – Definition und MerkmaleUrsprünglich stammt der Begriff „Biografie“ aus dem Griechischen. Er ist abgeleitet von „bíos“, was gleichbedeutend mit „Leben“ ist und von „gráphō“, was mit„Schrift“ zu übersetzen ist. Der Begriff bezeichnet die mündliche oder schriftliche Lebensbeschreibung einer Person. Hierbei geht es im Unterschied zu einemLebenslauf nicht nur um die Erfassung aller Daten und deren zeitlichen Abfolgeim Leben eines Menschen. Vielmehr werden diese Daten und Fakten dahingehend interpretiert und dargestellt, welche Bedeutung die einzelnen Ereignissefür einen Menschen haben. (vgl. Miethe 2011, S.12)„Irgendwann erfindet jeder die Geschichte, die er für sein Leben hält.“ Merkmale von BiografienMax FrischDemzufolge haben Biografien im Unterschied zum Lebenslauf folgende Merkmale und Besonderheiten, die bei der Auseinandersetzung mit Biografien zu berücksichtigen sind: (vgl. Miethe, 2011, S.13ff.). Biografien sind bedeutungsstrukturiert, d.h. das Leben eines Menschen istgeprägt durch unterschiedlichste Ereignisse. Ob das einzelne Ereignis bedeutsam für die einzelne Person ist – positiv wie negativ – ist individuell vonder jeweiligen Person und ihren Erfahrungen abhängig. Biografien basieren auf sequenziellen Erfahrungsaufschichtungen, d.h. Entscheidungen werden vor dem Hintergrund dessen getroffen, was bis zu diesem Zeitpunkt passiert und der entscheidenden Person bis dahin bekannt ist. Biografien sind subjektive Konstruktionen, d.h. jeder Mensch entwickeltsein eigenes Bild von der Welt. Ereignisse und Erfahrungen werden individuellund personenabhängig wahrgenommen, gedeutet, verarbeitet und erinnert. Biografien sind prozesshaft, d.h. Biografien sind nicht statisch, sondern unterliegen einem ständigen Prozess der Veränderung und Weiterentwicklung. Biografien beinhalten immer Allgemeines und Spezielles, d.h. Biografien erfassen zum einen immer das individuelle und subjektive Erleben, geben abergleichzeitig Auskunft über das gesellschaftliche Umfeld, z.B. über die sozialeSchicht und Kultur, in dem das Leben der Person stattfindet.–6–

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja Cantzler Biografien sind Teil von Geschichte, d.h. die Entwicklung einzelner Personenist immer im Zusammenhang mit geschichtlichen Ereignissen zu betrachten. Biografien werden bestimmt durch kognitive, emotionale und körperlicheDimensionen, d.h. neben dem kognitiven Erinnern von Ereignissen verknüpft der Mensch die Erinnerungen mit unterschiedlichen sinnlichenWahrnehmungen. Diese werden sichtbar in Körperhaltung, Gestik und Mimik, die während des Erzählens zum Ausdruck kommen.Teilaspekte von BiografienErgänzend gibt es verschiedene Teilbiografien (vgl. Klingenberger, 2003, 106ff.),aus deren Blickwinkel heraus, Biografien betrachtet und bearbeitet werden können: die soziale Biografie – beinhaltet die Beschreibung der sozialen Beziehungenund Lebensverhältnisse der einzelnen Personen, die Kultur-Biografie – umfasst zum einen den Kontakt der einzelnen Personmit Kultur im Sinne von Kunst, Oper, Theater, Musik etc. und ergänzenddazu die einflussnehmende Alltagskultur (Kleidung, Wohnung, Essen), wiesie sich in Alltagsritualen und Gewohnheiten spiegelt, die Natur-Biografie – beschreibt die Natur und Umwelt, die eine Person umgibt und beeinflusst und gibt Auskunft über die persönliche Geschichte deseigenen Körpers einer Person, die Mytho-Biografie – erfasst Glaubenseinstellungen und Weltanschauungen, die sich im Laufe des Lebens entwickeln und grundlegend Einfluss aufdie Weiterentwicklung nehmen, die Lern- und Bildungsbiografie – benennt zum einen die formalen Bildungsabschlüsse eines Menschen und die eher beiläufigen Lernprozesse und -ergebnisse im Verlauf des Lebens, die Biografie aus geschlechtsspezifischen Aspekten – umfasst die Betrachtung der eigenen Geschichte unter geschlechterrelevanten Gesichtspunkten, die Biografie aufgrund nationaler Herkunft – berücksichtigt Bedingungenund Lebensverläufe, die aufgrund kultureller Wurzeln und Zugehörigkeit zueiner bestimmten Nationalität bestimmt und geprägt sind.PersönlichkeitsbiografieAll diese Teilbiografien nehmen Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeitund ergeben so in der Summe die Persönlichkeitsbiografie eines Menschen.–7–

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja Cantzler2.2 Formen der Auseinandersetzung mit BiografieWie schon einleitend herausgestellt, gibt es viele Arbeits- und Anwendungsfelder,in denen die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie oder die Einbeziehungder Biografie anderer Personen das professionelle Handeln unterstützen kann.FormenEs wird hierbei grundlegend zwischen zwei Formen unterschieden: die formelle Auseinandersetzung mit BiografieIn diesem Zusammenhang wird die Biografiearbeit oder die Auseinandersetzung mit Biografie explizit als Thema benannt. Dies findet in der Regel imRahmen von Kursen, Seminaren, Workshops oder Veranstaltungen für spezielle Zielgruppen statt. die informelle Auseinandersetzung mit BiografieHier werden Alltagssituationen im professionellen Umfeld genutzt, um biografische Aspekte einzubringen oder zu erfragen. Dies geschieht eher „nebenbei“ und für den Klienten eher unbewusst.Formelle Auseinandersetzung mit BiografieIm Rahmen der pädagogischen Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren findet eine formelle Auseinandersetzung mit Biografie bei den pädagogischen Fachkräften z.B. im Rahmen von Weiterbildungen oder gezielten Kursenzur Biografiearbeit statt. Pädagogische Fachkräfte werden zu einer biografischenSelbstreflexion eingeladen, um ihr pädagogisches Handeln besser einordnen,verstehen und weiterentwickeln zu können.Im Rahmen einer Fortbildungsreihe zur Fachkraft für Frühpädagogik werdendie Teilnehmer und Teilnehmerinnen beispielsweise in verschiedenen Zusammenhängen dazu aufgefordert, eigene biografische Erinnerungen zu aktivieren,die Einfluss auf ihr pädagogisches Handeln haben (z.B. wichtige Bindungspersonen in der Kindheit) oder einen theoretischen Sachverhalt mit der Verknüpfungzum eigenen biografischen Erleben (Erinnerung an eigene Übergangsobjekteund deren persönlichen Bedeutung) zu verstehen.Reflexionsbeispiel: Wichtige Bindungspersonen in der KindheitHier werden die pädagogischen Fachkräfte gebeten, sich so weit wie möglich in ihrefrühe Kindheit zurück zu denken. Sie sollen alle wichtigen Personen aus dieser Zeit erinnern, besondere Eigenschaften und Glaubensgrundsätze dieser Personen benennenund dann reflektieren, inwieweit, dass Vorbild dieser Personen ihr gegenwärtigespäda gogisches Handeln beeinflusst.–8–

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja CantzlerDie formelle Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie kann auch im Rahmen einer Therapie stattfinden, wenn konflikthafte Denk- und Handlungsmuster und unverarbeitete Problemlagen vorhanden sind, die es mit Hilfe des biografischen Rückblicks therapeutisch zu bearbeiten gilt.Informelle Auseinander setzung mit BiografieIn der direkten Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren und ihrenEltern findet eher die zweite Form – die informelle Auseinandersetzung mit derder Biografie – Anwendung. In Anmeldebögen, Elterngesprächen und in Lernund Bildungsdokumentationen, aber auch in Erzähl- und Morgenkreisen werden biografiebasierte Informationen erfragt und bearbeitet. Sie dienen oftmalsals Grundlage für das bessere Verstehen des Lebensumfeldes und der daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten für einzelne Familien. Darüber hinauswerden einzelne bedeutsame Erlebnisse und Ereignisse als zukünftige Erinnerungsmöglichkeit für das Kind und seine Familie für später festgehalten.2.3 Ziele der Auseinandersetzung mit BiografieDie Biografiearbeit versteht sich im Allgemeinen als ein Perspektiven erweiternder Ansatz. Die Auseinandersetzung mit Biografie in der Gegenwart leistet Erinnerungsarbeit auf Basis der Vergangenheit mit Blick und Veränderungspotentialfür die Zukunft. So bleibt die Biografiearbeit nicht in der Vergangenheit stecken,sondern nimmt sie als Grundlage, rückblickend vorhandene Handlungs- undDenkmuster der Gegenwart zu verstehen, sie einerseits auf dieser Grundlage anzunehmen und/ oder daraus andererseits mögliche Veränderungen für die Zukunft entwickeln zu ung imHier und JetztErinnerung/Rückblick Ausblick/Planung(nach Klingenberger, 2003)–9–

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja Cantzler2.4 Methoden für die Auseinandersetzung mit BiografienIn der Biografiearbeit kommen verschiedene Methoden zum Einsatz. Dabei wirdunterschieden zwischen (vgl. Miethe, 2011, S. 41ff): Unspezifischen Methoden. Dies sind Methoden, die Inhalte und Elementeeinbinden, die genauso in anderen Gruppensituationen oder Formen der Erwachsenenbildung zum Einsatz kommen, z.B. Übungen und Spiele zum Warming up und Kennenlernen.Einstieg in den ersten Informations-Elternabend zum KennenlernenDie Eltern werden reihum gebeten sich an ein besonderes Dokument aus den ersten Jahren der Kinder zu erinnern, das für Sie von Bedeutsamkeit ist und darüber zu erzählen: die Geburtsurkunde die Geburtsanzeige der Mutterpass ein Glückwunsch zur Geburt ein Foto von den ersten Schritten Diese Methode dient zunächst einmal dazu, dass sich die Eltern in einer Erzählrundenäher kommen. Durch die freie Wahl des Dokuments, über das jemand berichtenmöchten, bleibt es jeden freigestellt, wie viel oder wie persönlich sie oder er berichtenmöchten. Die pädagogischen Fachkräfte bekommen einen kleinen ersten Eindrucküber die vorausgegangene Geschichte des Kindes und seiner Eltern.Für den Einsatz dieser Methode in der pädagogischen Arbeit sind die sprachlichenKompetenz der Eltern zu berücksichtigen und daher beispielsweise bei Eltern mit Migrationshintergrund eventuell nur unter Vorbehalt einsetzbar.Hier könnte man die Eltern im Vorfeld bitten, Fotos ihrer Kinder aus den ersten Lebensmonaten mitzubringen. Diese Fotos erleichtern gegebenenfalls den ersten Kontakt mitanderen Eltern und zu den pädagogischen Fachkräften. Modifizierte Methoden. Hier handelt es sich um Methoden, die aus anderenWissenschafts- und Arbeitsfeldern entlehnt wurden. Dazu zählen u.a. dieAnwendung von Genogrammen, narrative Methoden und Formen des FreeWritingsDas Genogramm zur Analyse der eigenen FamiliengeschichteDas Genogramm ist eine Methode aus der systemischen Familientherapie. Es handeltsich dabei um eine piktografische Darstellung, die mithilfe bestimmter Symbole dieprägende Beziehungen, wiederkehrende Ereignisse, familienspezifische Werte und besonderen Dynamiken einer Familie über mehrere Generationen hinweg aufzeigenkann. Durch die Fokussierung auf Familienbeziehungen und wiederkehrende Konstellationen geht ein Genogramm inhaltlich über einen herkömmlichen Stammbaum hin-– 10 –

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja Cantzleraus. Ein Genogramm ermöglicht den Zugang zu Verhaltensmustern und beziehungsbestimmenden Faktoren, die sich innerhalb einer Familie wiederholen.Mit einer Auswahl von Symbolen, wie sie in Fachbüchern über Genogrammarbeit zufinden sind, kann ein solches Genogramm erstellt htehelichgetrennt lebendgeschiedenMan beginnt mit den Generationen auf der vertikalen Achse. Zuerst wählt man einenKreis oder ein Quadrat als Symbol für sich selbst und malt dieses möglichst nahe am unteren Rand. Zwischen dem Blattrand und diesem Symbol werden dann gegebenenfallsdie eigenen Kinder eingetragen. Oberhalb von einem selbst stehen die Eltern und nebeneinem die Geschwister in der Reihenfolge des Alters. Über den Eltern erhalten die Großeltern und die Geschwister der Eltern einen Platz. Man kann die Generationen beliebigweit zurückverfolgen, je nachdem wie weit verwertbare Informationen vorhanden sind.Die Reihenfolge auf der horizontalen Achse stellt eine zeitliche Reihenfolge dar. DieseReihenfolge muss korrekt sein, was aus systemischer Sicht sehr wichtig ist, da sich beispielweise durch die Geschwisterkonstellation bzw. Geschwisterstellung eine besondere Familiendynamik ableiten lässt. Innerhalb der gleichen Geschwister-Reihe werdendie Personen immer von links nach rechts dargestellt: Erstes Kind ganz links, jüngstesrechts (Abtreibungen, Aborte, Totgeburten nicht vergessen).Die einzelnen Personen werden durch die entsprechenden Beziehungslinien miteinanderin Beziehung gesetzt. Hier gibt es diverse Symbole für: Ehe, Scheidung, getrennt lebend,uneheliche Beziehung usw. (s.o.) Weitere Symbole stehen für Berufstätigkeit, Krankheiten,Krisen o.Ä. oder man wählt eigene Symbole für besondere Ereignisse, denen man mit Hilfedes Genogramms tiefer auf den Grund gehen möchte. (vgl. Hintermann, 2013, S.1-11)– 11 –

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja CantzlerMit Hilfe vergleichbarer Methoden bekommt eine pädagogische Fachkraft beispielsweise einen Schlüssel, warum sie es eher ablehnt, Kinder in den ersten dreiLebensjahren in einer Krippe zu betreuen. Mit Rückblick auf ihre eigene Familienkonstellation könnte sichtbar werden, dass alle Frauen in ihrer Familie nichtberufstätig waren und sich daheim um die Kinder kümmerten. Sie ist die erste,die überhaupt berufstätig ist und jetzt Kinder in den ersten drei Lebensjahrenprofessionell betreut. Dabei wurde ihr als Glaubensgrundsatz vermittelt, Kinderin den ersten Lebensjahren wären in der Familie am besten aufgehoben.Methoden der Biografie arbeit in der Arbeit mitKindern und Eltern Eigenständige Methoden. Das sind Methoden, die eigens im Zuge der Biografieforschung entwickelt wurden und in der Auseinandersetzung mit Biografien ihre Anwendung finden. Hier sind beispielsweise Erzählcafés, Lebensbücher, Erinnerungskoffer u.a. zu nennen.ErzählcafésIn vielen Krippen gibt es Elterncafés, damit Eltern sich untereinander kennenlernen undsich miteinander austauschen können. Diese Elterncafés könnten zu Erzählcafés erweitert werden, indem Impulse zum Gespräch über die Entwicklungsgeschichte der Kindermit eingebracht werden und eine pädagogische Mitarbeiterin dies begleitet und moderiert.LebensbücherPortfolios und Bildungsbücher bilden einen Teil des Lebensbuches eines Kindes. ZentraleThemen rund um die Familie und die Bildungs- und Lerngeschichte des Kindes werdenhier dokumentiert: Ich und meine Vorlieben Familie Freunde Wichtige Ereignisse und ErlebnisseErinnerungskofferEin Erinnerungskoffer mit verschiedensten Gegenständen aus Lebens- und Erlebniswelt der Kinder regen im Morgenkreis zum Erzählen über wichtige Ereignisse an. Indiesem Koffer können beispielsweise zum einen die Schlaf- und Kuscheltiere der Kinderals Gesprächsaufhänger oder aber andere Gegenstände wie Schnuller, Trinkflaschen,Töpfchen, Spieluhren etc. deponiert sein.– 12 –

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja CantzlerErgänzend gibt es weitere, vielfältige Methoden, die in der Auseinandersetzungmit Biografien einfließen können. Als Beispiele seien genannt: Narrative MethodenMit Hilfe offener Erzählimpulse werden lebensgeschichtliche Erzählungenangeregt. Hierzu zählt in der pädagogischen Arbeit mit den Kindern beispielsweise der oben genannte Erinnerungskoffer. Dabei werden Kinder mitGegenständen eingeladen, über für sie wichtige Tagesrituale beim Schlafen,Essen und Wickeln ins Erzählen zu kommen. In der pädagogischen Arbeitmit den Eltern sind es neben Kennenlernrunden und den oben genanntenErzählcafés Elterngespräche, in denen sie durch gezieltes Nachfragen aufgefordert werden, über Geburt und Entwicklung der Kinder zu sprechen unddamit über deren bisherigen Biografie Aufschluss zu geben. Biografische SchreibverfahrenDie pädagogischen Fachkräfte begleiten die Kinder dabei ein Stück in ihrerEntwicklungs- und Lebensgeschichte. Durch Bildungs- und Lerngeschichtenkönnen beispielsweise diese Ereignisse für das Kind und seine Eltern schriftlich dokumentiert und im persönlichen Portfolio des Kindes festgehaltenwerden. Ergänzend hierzu können die Eltern sich mit eigenen Erlebnissenund Geschichten in diese Portfolioarbeit einbringen. Sie werden beispielsweise aufgefordert, einen kleinen Brief an ihr Kind zu schreiben, in dem sie beschreiben, wann und wie das Kind seine ersten Schritte gewagt hat. DieseGeschichten werden dem Kind vorgelesen und Bemerkungen und Ergänzungen des Kindes gegebenenfalls ergänzt. Eltern, denen es schwerer fällt sich indeutscher Schriftsprache auszudrücken, können mit Hilfe von Fotos über dieseEreignisse berichten und die pädagogische Fachkraft formuliert daraus einenkleinen Bericht zur Erinnerung für das Kind und seine Eltern. Kreative MethodenDurch kreative Aktivitäten wie z.B. Malen, Kneten, Basteln, Modellieren werden Erlebnisse und Ereignisse dargestellt und zum Ausdruck gebracht. Hierkann man die Kinder altersentsprechend einbeziehen, indem sie sich beispielsweise mit ihren Eltern, Geschwistern und Großeltern malen. Nach einemAusflug in den Zoo können sie verschiedene Tiere kneten, um das gemeinsame Erlebnis zu verarbeiten. Im Anschluss an einen Großelternnachmittag imWald können die gesammelten Blätter, Zweige und Naturmaterialien zu einem kleinen Kunstwerk gestaltet werden, das nachhaltig an das Erlebnis mitden Großeltern erinnert und zum Erzählen darüber anregt. Körper- und SinnesmethodenDas Körpergedächtnis wird durch Bewegung, Gerüche und Berührung inden Erinnerungsprozess einbezogen. Diese Methode bietet vielfältige Ausgestaltungsmöglichkeiten in der Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften. Durch das Nacherleben der verschiedenen Bewegungsstadien vom lie– 13 –

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja Cantzlergenden Säugling bis zum laufenden und springenden Kleinkind kommt diepädagogische Fachkraft mit ihrer eigenen Bewegungsentwicklung in Kontakt. Sie versetzt sich in die Situation des Kindes hinein und erlebt aus dessenPerspektive heraus den Raum und die Umgebung. Dies ermöglicht ihr beispielsweise die Bedürfnisse der verschiedenen Altersstufe mit einem erweiterten Blickwinkel in die Raumgestaltung einzubeziehen.Gerüche der KindheitIn einer Weiterbildung über die Bedeutsamkeit von Sinneswahrnehmung für Kinder inden ersten drei Lebensjahren, gibt die Referentin jeder pädagogischen Fachkraft einenTropfen Babyöl auf die Hand. Nun sollen die pädagogischen Fachkräfte die Augenschließen, daran riechen und wahrnehmen, woran sie der Duft spontan erinnert. Dannbenennen sie weitere Gerüche, die sie mit ihrer Kindheit verbinden. Anschließend ergänzt die Referentin/der Referent theoretische Informationen über die Entwicklungder olfaktorischen Wahrnehmung.Die Einbeziehung dieser Methoden in die Weiterbildung von pädagogischenFachkräften eröffnet eine tiefende Reflexionsebene. Durch das Anknüpfen andas eigene Erleben erweitert sich das Verständnis der pädagogischen Fachkräftefür die Bedürfnisse und Interessen der Kinder in den ersten drei Lebensjahren. Einbeziehen von MedienVerschiedene Medien regen Erinnerungen an, z.B. Familienfotos, Filme vonErlebnissen und Musik. So können am ersten Elternabend mitgebrachte Familienfotos dazu beitragen, mit anderen Eltern über sich und ihr Kind insGespräch zu kommen. Gemeinsam mit den Eltern können die pädagogischenFachkräfte auch ein sogenanntes Ich-Buch für das Kind gestalten. Hierbeihandelt es sich um ein individuelles Fotobuch für das Kind mit Fotos vonwichtigen Personen, Haustieren, Übergangsobjekten, über das Haus, dieWohnung, das Zimmer u.ä. Dieses Fotobuch ist oftmals in der Eingewöhnungszeit eine wichtige Brücke zwischen dem Elternhaus und der Kinderkrippe. Es gibt dem Kind Halt und Sicherheit und die pädagogischen Fachkräfte bekommen einen kleinen Einblick in das soziale und familiäre Umfelddes Kindes, das für seine Biografie grundlegend ist. Lieder und Musik aus denverschiedenen Herkunftsländern der Kinder bilden eine wichtige Verbindungzu ihren kulturellen Wurzeln. Eltern können die pädagogische Fachkraft aufverschiedene Weise unterstützen, diese Lieder und Musiken in den pädagogischen Alltag zu integrieren. Beispielsweise können die Eltern an einem Morgenkreis teilnehmen und ihr Liedgut einbringen oder im Rahmen eines multikulturellen Festes CDs mit landestypischer Musik zur Verfügung stellen.– 14 –

Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Biografienvon Anja Cantzler Meditative und assoziative VerfahrenDurch Fantasiereisen, Bildassoziationen und ähnliches werden Erinnerungenauf einer eher unbewussten Ebene angesprochen. Denkbar ist ein Elternabend mit einer Erinnerungsreise zu Beginn, der den Eltern einen neuen Zugang zu ihrem unbewussten Wissen gibt.„Spiele aus Kindertagen – auf den Spuren der eigenen Selbstbildungspotentiale“– Ein ElternabendUm für die Eltern eine emotionale Verbindung zu der Bedeutsamkeit des freien undselbsttätigen Spiels eines Kindes zu entwickeln, werden die Eltern gebeten, sich an dieSpiele und Spielorte der eigenen Kindheit zu erinnern: „Können Sie sich an eine odermehrere Spielsituation in Ihrer frühen Kindheit erinnern, die sie positiv empfanden?“ Was haben Sie gespielt? Wo haben Sie am liebsten gespielt? Mit wem haben Sie gerne gespielt? Wann hat Ihnen Ihr Spiel am meisten Spaß gemacht? Was haben Sie im Spiel gelernt? Welche Rolle haben Erwachsene dabei gespielt?Die Antworten auf diese Fragen dienen als Ausgangspunkt, um die Selbstbildungsmöglichkeiten der eigenen Kinder im freien und selbsttätigen Spiel zu entdecken. Visualisierende MethodenHierbei werden die Biografie oder Teile davon optisch oder grafisch dargestellt,z.B. durch ein Genogramm , einen Lebensstrahl oder eine Lebensuhr. Sie bieten eine Übersicht und unterstützen das Erkennen von Zusammenhängen. Lernen am ModellFremdbiografien (z.B. Biografien berühmter pädagogischer Persönlichkeiten:Emmi Pikler, Loris Malaguzzi u.a.) regen beispielsweise die pädagogischeFachkraft zur Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie unter verschiedenen Blickwinkeln und pädagogischen Haltungen an. Rollenspiele und

ist immer im Zusammenhang mit geschichtlichen Ereignissen zu betrachten. Biografien werden bestimmt durch kognitive, emotionale und körperliche Dimensionen, d.h. neben dem kognitiven Erinnern von Ereignissen ver-knüpft der Mensch die Eri