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Diese Handreiche ist ein Produkt des Marie Meierhofer Instituts für das Kind. Sie wurde in zwei Sitzungen mit entsprechenden Fachkreisen diskutiert.Handreiche für den Umgang mit jungen Kindern in den BBTs des Kanton ZürichsHeidi Simoni & Sabine BrunnerInhaltsverzeichnisI. Spezielle Voraussetzungen in der frühen Kindheit . 11. Kindliche Bedürfnisse, Willensäusserungen und vertraute Personen . 12. Aufnehmen und Abbauen von Spannungen . 23. Orientierung . 24. Veränderung. 2II. Anforderungen an den Umgang mit Säuglingen und Kleinkindern . 3III. Folgerungen für den Umgang mit Säuglingen und kleinen Kindern in BBTs . 3IV. Konkrete Schritte bei einer Anmeldung von Säuglingen und Kleinkindern im BBT . 41. Aufnahmegespräche . 42. Prozessorientierte Phase der Einführung von begleiteten Kontakten . 43. Weiterführung der Besuchskontakte. 53a. individuelle Begleitung der weiteren Besuchskontakte. 53b. Eingliederung in den BBT . 5V. Räumliche Bedingungen . 5VI. Auswertung der Arbeit in BBTs . 6VII. Professionalität . 6VIII. Schnittstellen . 6IX. Schema zu möglichen Settings bei begleiteten Besuchskontakten . 7I. Spezielle Voraussetzungen in der frühen Kindheit1. Kindliche Bedürfnisse, Willensäusserungen und vertraute PersonenSäuglinge und junge Kinder sind ausgestattet mit der grundsätzlichen Kompetenz, zu spüren, was fürsie gut ist und was nicht. Sie haben von Beginn an mimische, körperliche und tonale Möglichkeitenzur Verfügung, um sich auszudrücken und ihren Willen oder Unwillen kund zu tun. Gleichzeitig sind sieexistenziell abhängig davon, dass die betreuenden Erwachsenen ihre Signale erkennen und passenddarauf reagieren.Junge Kinder entwickeln bereits in den ersten Lebensmonaten persönliche Beziehungen und ein Bindungsverhalten zu denjenigen Personen, die sich ihnen besonders verlässlich, vertraut und verfügbarzeigen. Sie suchen und brauchen diese Personen für Beruhigung, Trost und Rückersicherung, wenn.Marie Meierhofer Institut für das KindKulturpark Zürich WestPfingstweidstrasse 16 jCH-8005 Zürich jTelFax 41 44 205 52 20 41 44 205 52 [email protected] 0070 0110 2033 8731 1CHE-107.845.393 MWST

Seite 2 von 7sie sich unwohl, unsicher oder überfordert fühlen. In einem begrenzten Mass haben junge Kinder einige Möglichkeiten, sich selbst psychisch ins Gleichgewicht zu bringen. Dennoch stossen sie aus verschiedenen Gründen damit an Grenzen und bedürfen der unmittelbaren Unterstützung ihrer Hauptbezugsperson(en).Säuglinge und junge Kinder stellen eine Art Hierarchie her, von wem sie am liebsten getröstet undbetreut werden. Gänzlich unvertraute Personen sind aus Sicht des Kindes aus verschiedenen Gründennicht sonderlich geeignet, um Betreuung und Trost zu übernehmen: Weder sind diese vertraut mitdessen Gewohnheiten, noch können sie seine Signale verlässlich lesen oder wissen, welche Reaktionen darauf passend sind. Ausserdem sind sie dem Kind selbst auch unvertraut und es findet deshalbgar nicht oder schwierig Trost bei ihnen.Diese interpersonalen Regulationsprozesse in der frühen Kindheit oder genauer deren Gelingen undMisslingen sind eng und nachhaltig mit der Stressverarbeitung eines Menschen verbunden. Die Bewältigung von Stress ist eine wichtige Voraussetzung, um sich für Neues öffnen, damit auseinandersetzen und lernen zu können.2. Aufnehmen und Abbauen von SpannungenSäuglinge und junge Kinder sind sehr empfänglich für nonverbale Botschaften, also etwa Gefühle undAffekte, wie sie sich in Mimik, Gestik, Tonfall und Körperhaltung ausdrücken. Sie bewegen sich jaauch selbst anfänglich ausschliesslich im nonverbalen Verständigungsbereich. Deshalb kann davonausgegangen werden und es entspricht auch der Erfahrung, dass junge Kinder Spannungen im Raumaufnehmen, seien diese zwischen Eltern oder anderen Personen oder auch solche, die eine Person insich trägt. Je weniger angespannt die Umgebung ist, desto besser kann sich auch das junge Kind inder Regel entspannen.3. OrientierungJunge Kinder leben sehr im Hier und Jetzt, gleichzeitig ist ihr Erfahrungshintergrund noch sehr begrenzt. Deshalb gibt es für das junge Kind schnell Situationen, die ihm unvertraut sind, die es in Erregung versetzen, ängstigen, verunsichern, beunruhigen oder Fragen in ihm entstehen lassen. Es bedarfdeshalb der Orientierung durch sein nahes Umfeld. Ein Kind braucht Personen, die ihm mit Erklärungen oder auch zuversichtlichem Verhalten Orientierung geben. Besonders wenn sich Spannungen imRaum nicht vermeiden lassen, sind orientierende Erklärungen, also das kindgerechte Ansprechen derSituation für das Kind speziell wichtig. Auch Kleinstkinder, die selber noch nicht sprechen können,sind auf „wahre“ Worte angewiesen (vgl. dazu F. Dolto).4. VeränderungDie Bedürfnisse von Säuglingen / Kleinkindern ändern sich rasch und werden – zumindest aus Sichtdes Kindes – schnell existenziell, sei es der Bedarf an Nahrung oder an Trost, Anregung oder Bewegung. Seitens der Betreuungspersonen braucht ein junges Kind stetige Aufmerksamkeit und Flexibilität, damit die sich ändernden Bedürfnisse tatsächlich flexibel aufgenommen werden können.Säuglinge / Kleinkinder entwickeln sich ausserdem rasant, was ebenfalls in ständig sich änderndenBedürfnissen mündet und flexible Antworten erfordert.

Seite 3 von 7II. Anforderungen an den Umgang mit Säuglingen und KleinkindernDamit die Bedürfnisse junger Kinder jederzeit genügend abgedeckt sind, müssen also folgende Voraussetzungen erfüllt sein:a) Das junge Kind benötigt durchgängig eine Person, die in der Lage ist, sich um seine Bedürfnisse zu kümmern. Kind und Betreuungsperson müssen sich gegenseitig vertraut sein.b) Die Person muss in der Lage sein, feinfühlig die Signale des Kindes wahrzunehmen, sie richtigzu interpretieren, prompt zu beantworten und dem Kind zu helfen, sich zu orientieren.c) Die Einschätzung, was das Kind braucht, muss zeitnah in der aktuellen Situation erfolgen undsich am Erleben und Verhalten des Kindes orientieren.d) Das passende Beantworten der Signale und Bedürfnisse eines jungen Kindes benötigt Flexibilität seitens der Erwachsenen, da die Bedürfnisse sich rasch ändern.e) Die Spannungen rund um das Kind sollen möglichst tief gehalten werden, das heisst weder solles zu aufgebrachten, feindseligen Konflikten rund um das junge Kind kommen, noch solltendie Personen rund um das Kind sich akut oder anhaltend in einer inneren Spannung befinden.III. Folgerungen für den Umgang mit Säuglingen und kleinen Kindern in BBTsDie obigen Anforderungen sind nicht nur im familiären Kontext sondern insbesondere auch bei Angeboten für Familien mit jungen Kindern, wie das BBT eines darstellt, zu beachten. Das heisst, auch ineinem BBT muss für das Kind durchgängig die Anwesenheit einer vertrauten Person garantiert sein,welche in der Lage ist, seine Befindlichkeit und seine Bedürfnisse aktuell zu erkennen und passend zubeantworten.Der BBT ist ein zur Verfügung gestellter Raum, in dem unbeschwertes Zusammensein von Kindern mitihren besuchsberechtigten Elternteilen möglich sein soll. Damit dies möglich wird, braucht es insbesondere bei Säuglingen / Kleinkindern bestimmte Voraussetzungen.Es ist festzuhalten, dass bei einer Anmeldung eines Säuglings/Kleinkindes im BBT unklar ist, ob derbesuchsberechtigte Elternteil in diesem Sinn genügend vertraut ist mit dem Kind. Dies kann und mussindividuell geklärt werden. Es braucht dazu eine mit Bedürfnissen und Signalen von Säuglingen /Kleinkindern vertraute Fachperson, welche vor dem konkreten Durchführen von begleiteten Besuchskontakten mit dem betreuenden und dem besuchsberechtigten Elternteil sowie dem Kind das Gespräch aufnimmt. Diese Klärungsphase soll nicht einen umfassenden Charakter haben, sondern spe-.

Seite 4 von 7ziell auf die (Beziehungs-)bedürfnisse des Kindes in der konkreten Situation und die Möglichkeiten derEltern dabei fokussiert sein.Damit sich Säuglinge und Kleinkinder mit dem Installieren von Treffen genügend wohl fühlen und nichtzu sehr in Stresssituationen geraten, braucht es zudem eine individuell veränderbare und flexible Einführungsphase. Diese kann durch die selbige Fachperson anschliessend an die ersten Klärungsgespräche prozessorientiert geplant und angegangen werden. Mit konkreten Schritten ist zu prüfen, aufwelche Weise der Auftrag einer Kontaktbegleitung im BBT tatsächlich umgesetzt werden kann, ohnedass das Kind damit in unpassende und/oder gefährdende Situationen versetzt wird. Die Fachpersonmuss hierbei die Kompetenz haben, Änderungen am Setting vorzunehmen. Je nachdem braucht esdazu eine Rücksprache mit der auftragsgebenden Behörde. Ob das BBT (mit oder ohne weitere individuelle Fachbegleitung) der passende Rahmen für weitere Treffen ist oder ob allenfalls doch ein individuellerer Rahmen gefunden werden muss, kann nur in einer prozessorientierten Abklärungsphaseerkannt werden.Nicht zuletzt soll diese erste, individuell durch eine Fachperson begleitete Phase dazu dienen, dassdas Kind / die Eltern mit der Fachperson vertraut werden und umgekehrt. Dies ist wichtig für den Fall,dass der kontaktberechtigte Elternteil und das Kind wenig vertraut miteinander sind, und der betreuende Elternteil (oder eine andere vertraute Person) für die nötige enge Begleitung von zukünftigenKontakten nicht in Frage kommt. Sobald die Fachperson genügend vertraut geworden ist, kann auchsie selbst weitere Treffen begleiten und in der Folge den Beziehungsaufbau zwischen Säugling /Kleinkind und besuchsberechtigtem Elternteil moderieren.IV. Konkrete Schritte bei einer Anmeldung von Säuglingen und Kleinkindern im BBT1. Aufnahmegespräche-Kennenlernen von Kind und ElternGespräch mit beiden Elternteilen im Hinblick auf die Bedürfnisse des Kindes und die Möglichkeiten der ElternKlärung, ob es in Vergangenheit rund um den besuchsberechtigten Elternteil schwierige/traumatisierende Geschehnisse gabAufnehmen von potenziellen Anliegen des KindesPlanen von ersten Schritten2. Prozessorientierte Phase der Einführung von begleiteten Kontakten-Evtl. weiteres Vertrautwerden von Kind und Fachperson in Anwesenheit des betreuenden ElternteilsDurchführen von ersten begleiteten Kontakten in einem angepassten Setting (Anwesenheit einer vertrauten Person, genügend übersichtliche, ruhige Räumlichkeit)Auswerten der ersten begleiteten Kontakte:o Wie gestaltet sich der Übergang des Kindes zwischen betreuendem Elternteil und besuchsberechtigtem Elternteil?o Wie vertraut zeigen sich besuchsberechtigter Elternteil und Kind?.

Seite 5 von 7oo-Wie vertraut zeigt sich der besuchsberechtigte Elternteil mit den Betreuungsaufgaben?Wie ist die emotionale Gestimmtheit bzw. die psychische Stabilität des besuchsberechtigten Elternteils während der Kontakte?Planung weiterer begleiteter Besuchskontakte im BBT oder ausserhalb.3. Weiterführung der Besuchskontakte3a. individuelle Begleitung der weiteren BesuchskontakteEine weitere individuelle Begleitung durch eine Fachperson ist indiziert, wenn:-Kind und besuchsberechtigter Elternteil wenig vertraut sind und keine andere vertraute Begleitperson zur Verfügung steht.Der besuchsberechtigte Elternteil wenig vertraut ist mit den Betreuungsaufgaben und keineandere vertraute Begleitperson zur Verfügung steht.Der besuchsberechtigte Elternteil sich während der Kontakte psychisch/emotional instabil oderunter grosser Spannung zeigt.Die Übergänge des Kindes zwischen den Eltern eine individuelle Begleitung erfordern.Die Fachperson garantiert, dass die Signale des Kindes feinfühlig wahrgenommen und beantwortet werden. Sie kann dies selbst tun und/oder den besuchsberechtigten Elternteil anleiten, dies zutun. Ausserdem ist sie besorgt um ein angenehmes, spannungsarmes Klima rund um das Kindund behält seine Orientierung im Auge (Erklärungen an das Kind), behalten d.h. sie leitet die Beteiligten dazu an oder übernimmt sie selbst.3b. Eingliederung in den BBTDie Treffen von besuchsberechtigtem Elternteil und Kind können in den BBT-Betrieb eingegliedertwerden, wenn:-Kind und besuchsberechtigter Elternteil genügend vertraut sindDer besuchsberechtigte Elternteil genügend vertraut mit den nötigen Betreuungsaufgaben istDer besuchsberechtigte Elternteil genügend ausgeglichen istDie Übergänge des Kindes zwischen den Eltern für das Kind genügend angenehm und sicherverlaufen, bzw. durch das BBT genügend begleitet werden könnenV. Räumliche Bedingungen-Für die erste Abklärungsphase ist ein flexibel gehandhabtes Setting nötig, insbesondere auch,was die Raumwahl betrifft. Folgende räumliche Bedingungen sind denkbar:ooooRuhiger Raum im BBT mit genügend PrivatsphärePassender Raum ausserhalb des BBTsHausbesuchePassende Örtlichkeit im Aussenraum (Spaziergang, Parkbesuch etc.).

Seite 6 von 7-Für Säuglinge / Kleinkinder, die mit ihren Elternteilen ins BBT integriert werden, braucht es imBBT geeignete Räumlichkeiten (genügend Ruhe, Privatsphäre)Bei individuell begleiteten Besuchen im BBT soll eine passende Inklusion ins BBT stattfindenVI. Auswertung der Arbeit in BBTsAuch wenn der Besuch des BBTs bereits installiert ist, sollen die Treffen von Säuglingen / Kleinkindernund ihren besuchsberechtigten Elternteilen regelmässig ausgewertet werden. Es soll dabei Folgendesim Hinblick auf nötige Anpassungen geprüft werden:-Fühlt das Kind sich während der Kontakte wohl?Passt das Setting?Wie verlaufen die Übergänge?Wie gut kann der Elternteil im BBT inzwischen auf die Bedürfnisse des Kindes selbstschauen?Wie gut kann der Elternteil sich selbst emotional/psychisch regulieren?VII. Professionalität-Die eingesetzten Fachpersonen sollen über eine Weiterbildung verfügen, die sie befähigt, dieoben beschriebenen Aufgaben zu erfüllen. Folgende Qualifikationen sind nötig:oooooo-Lesen der Signale von Säuglingen/KleinkindernErkennen und Einordnen von auffälligem Verhalten von Säuglingen / Kleinkindern, insb.auch von ÜberanpassungBeobachten und Einordnen können von InteraktionenBeraten und Anleiten von Eltern(temporäre) Betreuung von Säuglingen/KleinkindernUmgang mit konfliktreichen Situationen und/oder speziellen psychischen/emotionalenKonstellationenIn Intervision / Supervision soll die Qualifikation der Fachpersonen gestärkt bzw. deren Fallarbeit reflektiert werden.Aus fachlicher Sicht ist es sowohl möglich, dass die individuell begleitende Fachperson zumTeam eines BBTs gehört oder auch, dass sie unabhängig davon den Begleitungsauftrag übernimmt.VIII. SchnittstellenAuftraggebende Behörden und Gerichte müssen informiert werden darüber, was in der frühen Kindheit an Voraussetzungen und Begleitung für einen gelingenden BBT-Aufenthalt nötig ist. Wünschenswert wäre der interdisziplinäre Austausch sowie eine Handreiche für die Anordnung von BBTs.

Seite 7 von 7Die Sicherstellung des Besuchs eines BBTs als Kindesschutzmassnahme, bzw. der vorgelagertenAbklärungs- und Eingliederungsphase ist in der Regel durch eine Beistandschaft zu gewährleisten.Knackpunkte bei der Umsetzung sind personelle Ressourcen, passend ausgebildete Fachpersonen,ausreichende Finanzen und geeignete Räumlichkeiten.IX. Schema zu möglichen Settings bei begleiteten BesuchskontaktenAbklärungsundAufnahmephaseKind und ETohne spezielleBegleitungKind und ET 1:1begleitetBegleitungdurch privateBezugspersonausserhalb BBTinnerhalb BBTHeidi Simoni und Sabine Brunner / mmi / 17.12.19BegleitungdurchFachpersonausserhalb BBTBBT allgemeininnerhalb BBT

Folgerungen für den Umgang mit Säuglingen und kleinen Kindern in BBTs Die obigen Anforderungen sind nicht nur im familiären Kontext sondern insbesondere auch bei Ange- boten für Familien mit jungen Ki