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STUDYNr. 339 · Oktober 2016FLUCHTMIGRATION UNDARBEITSWELTMaßnahmen zur Integration von Flüchtlingen in großen UnternehmenAndrea Müller und Werner Schmidt
Diese Study erscheint als 339. Titel der Reihe Study der Hans-BöcklerStiftung. Die Reihe Study führt mit fortlaufender Zählung die Buchreihe„edition Hans-Böckler-Stiftung“ in elektronischer Form weiter.
STUDYNr. 339 · Oktober 2016FLUCHTMIGRATION UNDARBEITSWELTMaßnahmen zur Integration von Flüchtlingen in großen UnternehmenAndrea Müller und Werner Schmidt
Autorinnen und Autoren:Andrea Müller, M.A., Soziologin, Mitglied im Tübinger Forschungsinstitutfür Arbeit, Technik und Kultur (F.A.T.K.), arbeitet als kommunale Flüchtlingsbeauftragte.Dr. Werner Schmidt, Soziologe, Geschäftsführer des Tübinger Forschungsinstituts für Arbeit, Technik und Kultur (F.A.T.K.). 2016 by Hans-Böckler-StiftungHans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorfwww.boeckler.deISBN: 978-3-86593-247-1Satz: DOPPELPUNKT, StuttgartAlle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile isturheberrechtlich geschützt.
INHALTZusammenfassung 71Einleitung 1.1 Flüchtlinge und Arbeitswelt 1.2 Die Situation von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt 1.3 Der Untersuchungsansatz 9911152 Die Unternehmensfälle 2.1 METALL 1: Eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen 2.2 METALL 2: Integration benötigt Zeit 2.3 STAHL 1: Handeln aus gesellschaftspolitischer Verantwortung 2.4 STAHL 2: Fördermaßnahmen als Win-Win-Situation 2.5 CHEMIE 1: „Ausbildung ist unsere Zukunft“:Sprache, Einstiegsqualifizierung, Ausbildung 2.6 CHEMIE 2: Die Kernfrage ist die Qualifizierung 2.7 CHEMIE 3: Netzwerk „Start in den Beruf fürFlüchtlinge“ – Qualifizierungszentrum 2.8 IMMOBAU: Netzwerk „Start in den Beruf fürFlüchtlinge“ – betriebliche Vertiefungsphase 2.9 STIFTUNG: „Eine Lücke füllen“ – Sprachförderung und Berufsfelderkundung 2.10 SERVICE 1: Studien- und Ausbildungsplätze 2.11 SERVICE 2: So früh wie möglich „Normalität“einkehren lassen – Praktika und duales Studiumfür Hochqualifizierte 2.12 SERVICE 3: Zugang zu Arbeit auch ohne Ausbildung 1818301091203 Vergleich und Schlussfolgerungen 3.1 Vergleich 3.2 Schlussfolgerungen 1291291393948566574859498Literatur 1455
ZUSAMMENFASSUNGAuf der Basis von Interviews in zwölf großen Organisationen wurde exemplarisch ermittelt, welche Maßnahmen Unternehmen zur Unterstützung undzur Integration von Flüchtlingen ergreifen. Einbezogen waren zwei Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, zwei Unternehmen der Stahlbranche, eine Bergbaustiftung, drei Chemieunternehmen sowie vier Dienstleistungsunternehmen.Die untersuchten Unternehmen stehen positiv zur Integration der Flüchtlinge und bemühen sich auch aktiv um deren Integration. Ihre Aktivitätenlassen sich in zwei Grundtypen einteilen:–– Aktivitäten, die der Förderung des gesellschaftlichen Engagements zurUnterstützung und zur Integration von Flüchtlingen dienen, etwa Spenden für zivilgesellschaftliche Initiativen oder die Freistellung von Beschäftigten für ehrenamtliches Engagement.–– Maßnahmen zur beruflichen Integration von Flüchtlingen, die von Praktika über Sprachkurse bis zum Angebot zusätzlicher Ausbildungsplätzereichen. Berufsvorbereitungsmaßnahmen kommt eine besondere Bedeutung zu, um eine erfolgversprechende Teilnahme an einer dualen Ausbildung zu ermöglichen. Die Maßnahmen finden häufig in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit statt.Bemerkenswert ist, dass die Unternehmen sich nicht nur aus Eigeninteressezur Sicherung ihres Fachkräftebedarfs engagieren, der in Unternehmen mitattraktiven Ausbildungsplätzen auf absehbare Zeit auch gering bleiben wird,sondern explizit mit der Absicht, einen Beitrag zur Integration von Flücht lingen zu leisten. Unternehmensmitbestimmung und betriebliche Mitbestimmung scheinen sich positiv auf das Engagement der Unternehmen auszuwirken. Mitunter sind sich die Befragten in den Unternehmen allerdingsnicht sicher, wie stabil solche Fördermaßnahmen von den Belegschaftenmitge tragen werden. Um Unmut vorzubeugen, werden Fördermaßnahmenfür Flüchtlinge öfter ergänzt um Maßnahmen für mit Ausbildungsplätzenunversorgte, nicht geflüchtete Jugendliche, insbesondere Mitarbeiterkinder.Ein unvermittelter Eintritt von Flüchtlingen in den Betrieb bleibt bishereher die Ausnahme: auf Einfacharbeitsplätzen ohne relevante fachliche odersprachliche Anforderungen und im Bereich hochqualifizierter Arbeit mitEnglisch als Arbeitssprache.7
Fluchtmigration und ArbeitsweltErstrebenswert dürften vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungenvornehmlich zwei Einstiegspfade für Flüchtlinge in die Arbeitswelt sein:–– Der Weg zur klassischen Berufsausbildung über ein Berufsvorbereitungsjahr, ergänzt um Sprachkurse, die jüngere Flüchtlinge auf ein B2-Niveaubringen.–– Für ältere Flüchtlinge die Teilnahme am regulären Arbeitsprozess mit arbeitsbegleitender Sprachförderung, Weiterbildung und Berufsausbildung.Da es für KMU sowie Handwerksbetriebe schwierig ist, solche Maßnahmenkomplett anzubieten, sind neben einer finanziellen Förderung überbetriebliche Qualifizierungs- und Ausbildungsverbünde unverzichtbar, um einen relevanten Teil der Flüchtlinge auszubilden und den erwarteten Fachkräftebedarf zu decken.8
1 EINLEITUNG1.1 Flüchtlinge und ArbeitsweltDeutschland ist mit der großen Herausforderung konfrontiert, eine hoheZahl von Flüchtlingen aufzunehmen und zu integrieren. Die Aufgabe der Integration ist aus humanitären Gründen, aber auch aus gesellschaftlichemEigeninteresse geboten. Da Erfahrungen zeigen, dass für die gesellschaftlicheIntegration eine gelingende Aufnahme in die Arbeitswelt zentral ist, verdienen die betriebliche Integration von Flüchtlingen und die Integrationsmaßnahmen, die Unternehmen ergreifen, besondere Beachtung. Gelingt es, einen großen Teil der erwerbsfähigen Flüchtlinge in Arbeit oder Ausbildungzu bringen, dann könnte sich die derzeitige Zuwanderung vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung als große Chance zur Sicherung desArbeits- und Fachkräftebedarfs erweisen, misslingt eine hinreichend breiteIntegration in die Arbeitswelt hingegen, dann sind ökonomische Belastungen, soziale Spannungen und die politischen Gefahren des Rechtspopulismus und des Rechtsextremismus alles andere als unwahrscheinlich.Eine gelingende Integration, so ist zu erwarten, dürfte erstens davon abhängen, welchen Arbeitskräftebedarf Unternehmen haben und welches In teresse somit besteht, Flüchtlinge aufzunehmen. Zweitens ist anzunehmen,dass es bedeutsam ist, welche sprachlichen und beruflichen Qualifikationendie Flüchtlinge mitbringen und wie es um die Bereitschaft und die Fähigkeitbestellt ist, diese an die Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes anzupassen. Drittens dürfte es nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in denBetrieben von Relevanz sein, wie die betriebliche Akzeptanz von Flüchtlingen ausfällt, ob sich Management und Interessenvertretungen für die Integration stark machen und welches Maß an Offenheit und Aufnahmebereitschaftseitens der Belegschaften besteht.Vor dem Hintergrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation, des immerwieder konstatierten Mangels an Fachkräften, der angesichts der demografischen Entwicklung perspektivisch eher zunehmen dürfte, sollte es nichtüberraschen, dass Unternehmen und Wirtschaftsverbände überwiegend dieBereitschaft signalisierten, sich um die Integration von Flüchtlingen zu bemühen. Weniger klar ist allerdings, was aus einer solchen prinzipiellen Integrationsbereitschaft tatsächlich für die Praxis folgt, soweit die Qualifikationvon Flüchtlingen nicht dem betrieblich nachgefragten Profil entspricht. Darüber hinaus wird deutlich, dass auch in der Frage der Integration von Flücht-9
lingen Interessenunterschiede von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nichtaufgehoben sind, wenn manche Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter dieChance zu nutzen versuchen, um „die starren Rahmenbedingungen für Beschäftigung, wie beispielsweise Mindestlohn und Leiharbeiterregelungen“in Frage zu stellen (Handelsblatt 6.11.2015). Auch wenn sich die Bundes vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände die Forderung nach einerVerknüpfung von Integration und Lohndumping nicht zu eigen gemachthat, so ist doch nicht ausgeschlossen, dass die gesellschaftliche Integrationder Flüchtlinge mit Belastungen verbunden ist, die angesichts der von Wahlerfolgen begleiteten Ressentiment-Politik der AfD auch die Akzeptanz vonFlüchtlingen bei den Beschäftigten beeinträchtigen könnte. Der Wunsch, innerbetriebliche Konflikte zwischen Belegschaftsgruppen zu vermeiden undden Betriebsfrieden nicht zu gefährden, könnte sich durchaus dämpfend aufdie Bereitschaft der Unternehmen auswirken, sich besonders für die Integration von Flüchtlingen zu engagieren.Ein Erfolg betrieblicher Integrationspolitik ist somit sowohl abhängigvon der Nachfrage und dem Angebot an spezifisch qualifizierten Arbeitskräften als auch geprägt von Interessenunterschieden und beeinflusst von gesellschaftlichen Diskursen, kurz: Der Erfolg ist keineswegs ausgeschlossen, dochalles andere als garantiert. Selbst wenn es ethischer Vernunft und gesellschaftlicher Rationalität entspricht, sich um die betriebliche Integration vonFlüchtlingen zu bemühen, so darf doch nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass diese mit einer betriebswirtschaftlichen Logik in Einklangzu bringen oder gegen eine solche Logik durchgesetzt werden kann.Mitbestimmung und Arbeitnehmersolidarität, so unsere Annahme vordem Hintergrund des Forschungsstandes zur betrieblichen Integration vonArbeitsmigranten, sollten sich positiv auch auf die Integration von Flüchtlingen in der Arbeitswelt auswirken. Jedenfalls darf angenommen werden, dassein positiver Einfluss auf die betriebliche Sozialintegration, den Arbeitnehmervertretung und Mitbestimmung bisher generell (Kotthoff 2009) sowiebei der Integration von Beschäftigten mit Migrationshintergrund (Schmidt2006a, Schmidt 2006b, Schmidt 2007, Schmidt/Müller 2013) gespielt haben,unverzichtbar ist. Nicht nur, weil nach § 80 Abs. 7 Betriebsverfassungsgesetz„die Integration ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb und das Verständniszwischen ihnen und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb zu beantragen“, zu den Aufgaben der Betriebsräte gehört, sondern auch,weil die Gewerkschaften frühzeitig und klar Position zur Integration derFlüchtlinge bezogen haben.10
1 EinleitungGerade weil der Prozess der Integration von Flüchtlingen in die heutigeArbeitswelt – wie wir zeigen werden – einer gewissen Zeit bedarf, ist es erforderlich, damit frühzeitig zu beginnen und Anfangsfehler zu vermeiden, umderen langes Nachwirken auszuschließen. Forschungen zur Integration vonArbeitsmigranten legen zudem nahe, dass das Arbeitsmarktsegment des Beschäftigungseintritts für die weitere berufliche Entwicklung sowie die sozialeIntegration von erheblicher Bedeutung ist und Phänomene der Unterschichtung und Marginalisierung oft nachhaltig wirken. Zu einer frühzeitigen Diskussion von betrieblichen Integrationserfahrungen und der Chancen und Risiken betrieblicher Integrationsmaßnahmen soll diese Studie beitragen.1.2 Die Situation von Flüchtlingen am ArbeitsmarktBevor wir uns unserer Erhebung und deren Befunden zuwenden, wollen wirzunächst noch ein paar Vorbemerkungen zur generellen Situation und zurEntwicklung des Arbeitsmarktes machen, in deren Kontext die Integrationder Flüchtlinge stattfinden kann, liegt es doch nahe, dass die Aufnahme indie Arbeitswelt dann leichter fällt, wenn die Arbeitslosenquote niedrig istund ein relevanter Bedarf an Arbeitskräften besteht. Die derzeit relativ stabileund geringe Erwerbs- bzw. Arbeitslosenquote von etwas über vier Prozent(bezogen auf die inländischen Erwerbspersonen nach ILO-Definition) bzw.sechs bis sieben Prozent (aller zivilen Erwerbspersonen nach der Definitionder Bundesagentur für Arbeit) (Horn et al. 2016, S. 9, Tab. 6) signalisiereneine für die Aufnahme zusätzlicher Arbeitskräfte eher günstige Situation.Auch die konjunkturellen Aussichten werden derzeit positiv beurteilt (IMK2016). Allerdings konzentriert sich die Nachfrage nach Arbeitskräften eherauf Akademikerinnen und Akademiker und beruflich ausgebildete Fachkräfte (IAB 2015), weshalb trotz generell günstiger ArbeitsmarktentwicklungSchwierigkeiten bei der unmittelbaren Besetzung offener Stellen durchFlüchtlinge keineswegs ausgeschlossen sind.Soweit mit längeren Eingliederungs- und Qualifikationsprozessen gerechnet werden muss und trotz des derzeitigen Rückgangs der Flüchtlingszahlen in Deutschland davon auszugehen ist, dass die Notwendigkeit, Flüchtlinge in die Arbeitswelt zu integrieren, auch in den nächsten Jahren fortbestehen wird, ist auch der mittel- und längerfristige Arbeitskräftebedarf bedeutsam. Prognosen sind bekanntlich generell mit hoher Unsicherheit verbunden,im Falle mittel- und langfristiger Arbeitsmarktprognosen ist man jedoch mitgeradezu gegensätzlichen Erwartungen konfrontiert.11
Fluchtmigration und ArbeitsweltEinerseits scheinen die Daten zur demografischen Entwicklung unmittelbar einen steigenden Arbeitskräftebedarf zum Ersatz eines sich verringernden Angebots zu signalisieren. Zudem spricht einiges dafür, dass sichim Bereich spezieller Tätigkeitsfelder, etwa der Altenpflege, auch ein Bedarfan zusätzlichen Arbeitskräften entwickelt. Das Demografie-Narrativ impliziert einen Bedarf an Zuwanderung und verspricht ein wachsendes Interesseseitens der deutschen Unternehmen und der Gesellschaft, sich um eine Integration von Flüchtlingen in die Arbeitswelt zu bemühen. Damit bietet dieses Narrativ einen Deutungsrahmen, in dem Zuwanderung und auch Fluchtsich durch die List der Vernunft für die deutsche Gesellschaft ins Positivewenden und zu einem Glücksfall werden. Folgen wir dieser Vorstellung,dann dürfte trotz der Notwendigkeit von Anpassungsqualifizierungen undselbst von basalen Bildungs- und Ausbildungsprozessen, die Bereitschaft indie Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen zu investieren, in nächsterZukunft eher wachsen.Allerdings wurde die dem Demografie-Narrativ zugrundeliegende Annahme, aus der demografischen Entwicklung würde ein Engpass an einheimischen Arbeitskräften resultieren, in jüngerer Zeit durch eine andere Erzählung herausgefordert, die der Digitalisierung, Stichwort Industrie 4.0. Damitsind nun mitunter Rationalisierungserwartungen und Befürchtungen desWegfalls von Arbeitsplätzen verbunden, wenn nicht generell, dann doch oftin bestimmten Bereichen, meist eher im Bereich der gering qualifizierten Tätigkeiten.Auch wenn sich die Befürchtungen „technologischer Arbeitslosigkeit“ inder Vergangenheit meist als unbegründet erwiesen haben (Heßler 2016) undVorhersagen bestimmter Entwicklungsmuster von Qualifikationen generellmit großer Vorsicht zu genießen sind, da „Tätigkeiten und Qualifikationensich unter den Bedingungen der fortschreitenden Digitalisierung dynamischund oftmals unkalkulierbar wandeln“ (Hirsch-Kreinsen 2016, S. 16), ist dochnicht auszuschließen, dass der Bedarf an einfacher Arbeit sich im Zuge derweiteren Entwicklung reduziert. „Die vorliegenden Befunde“, so HirschKreinsen (2016, S. 16) weiter, „stützen sowohl die Polarisierungsthese wieauch die Annahme einer generellen Aufwertung von Qualifikationen.“ Inder öffentlichen Wahrnehmung scheint jedenfalls die Erwartung steigender,mit der Digitalisierung einhergehender Qualifikationsanforderungen zu dominieren.Abgesehen vom quantitativen Arbeitskräftebedarf, der angesichts des Zusammenwirkens von demografischer Entwicklung und Digitalisierung, diesich beide sowohl auf der Angebots- als auch der Nachfrageseite bemerkbar12
1 Einleitungmachen,1 kaum kalkulierbar ist, ist somit offenbar auch der zukünftige Bedarfan Qualifikationen schwer zu bestimmen. Gleichwohl dürfte die Rezeptionder beiden Narrative, eines demografisch bedingt wachsenden Arbeitskräftebedarfs einerseits und eines im Zuge der Digitalisierung weiteren Bedeutungsverlusts einfacher Arbeit andererseits, relevant dafür sein, wie Unternehmen ihr ökonomisches Interesse an der Integration von Flüchtlingen definieren.Relevant für betriebliche und berufliche Integration ist selbstverständlichauch, welches Bildungsniveau und welchen Ausbildungsstand die Flüchtlinge mitbringen, wie gut deren Qualifikationsprofile zur Nachfrage der Unternehmen passen und wie aufwändig beide Seiten aneinander angepasst werden müssen. Zunächst dürfte wahrscheinlich lediglich eine Anpassung desArbeitskraftangebots an die Arbeitskraftnachfrage erfolgen, also etwa mittelsKursen, die der Sprach- und Kulturvermittlung sowie der beruflichen Qualifizierung dienen. Zumindest falls sich das Narrativ des wachsenden Arbeitskräftebedarfs diskursiv und praktisch durchsetzen sollte, muss mittel- undlangfristig auch damit gerechnet werden, dass Betriebe ihre Arbeitsprozesseund Tätigkeiten an das Angebot an Arbeitskräften anzupassen versuchen.Eine gewisse Veränderung, wenn auch nicht im Kern der Arbeitsprozesse, erfolgt jedoch auch bereits dann, wenn zusätzliche betriebliche Förderkurse fürFlüchtlinge eingerichtet werden. Erwartet werden muss dabei, dass die Unternehmen dann eher zurückhaltend mit Förderangeboten sind, wenn dieTransaktionskosten hoch, d. h. die monetären Kosten spürbar sind und diesoziale Akzeptanz bei relevanten Akteuren (Management, Betriebsrat, Belegschaft oder Teilgruppen) gering ausfällt.Angenommen wird auf Basis der Angaben der Bundesagentur für Arbeit,dass gut 70 Prozent der Beschäftigten und registrierten Erwerbspersonen ausaußereuropäischen Asylherkunftsländern über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen (IAB 2016, S. 3). Genaue Informationen über die beruflichen Qualifikationen und nicht formell erworbenen beruflichen Kompetenzen liegen jedoch noch nicht vor, da die Prozesse des beruflichen „Profiling“ noch nicht abgeschlossen sind. Es darf jedenfalls mit einem nicht unerheblichen beruflichen Qualifizierungs- und Anpassungsbedarf gerechnetwerden. Eingedenk des in Deutschland verankerten Systems der dualen beruflichen Ausbildung, das in den Herkunftsländern der Flüchtlinge in dieser1Ganz abgesehen davon besteht in einem Land mit Leistungsbilanzüberschuss allemal die Möglich-keit, die Exportproduktion einzuschränken.13
Fluchtmigration und ArbeitsweltWeise nicht existiert, ist dies wenig überraschend. Ein Blick auf die Angabenvon Asylbewerberinnen und Asylbewerbern n zu Schul- und Hochschulbesuchen (vgl. Tabelle 1) deutet darauf hin, dass deshalb keineswegs durchgehendmit einem Fehlen schulischer und beruflicher Kompetenzen zu rechnen ist(auch wenn die Angaben zu hohen Bildungsabschlüssen response-bedingt etwas zu hoch sein könnten). Erkennbar ist aber auch, dass das Qualifikationsniveau der Männer höher als das der Frauen ist. Allerdings lassen sich auf Basis solcher Daten das nötige Volumen sowie die Erfolgsträchtigkeit beruflicher Qualifizierungs- und Anpassungsprozesse nicht abschätzen.Tabelle 1Schul- und Hochschulbesuch registrierter Asylbewerberinnen und Asylbewerber 2015(18 Jahre und älter)BildungsniveauDurchschnitt allergewichtet mit BleibeperspektivealleFrauenMännerniedrig31 %25 %31 %24 %mittel30 %26 %24 %27 %hoch36 %46 %42 %47 %3%3%3%2%sonstigesQuelle: IAB 2016Anmerkung: freiwillige Selbstangabe der Asylbewerberinnen und Asylbewerber bei der Registrierung(Beteiligungsquote 53 Prozent)Definition Bildungsniveau: niedrig: kein Schulbesuch oder Grundschulbesuch, mittel: Besuch von Mitteloder Fachschule, hoch: Besuch von Gymnasium, Fachhochschule oder UniversitätDa in der Konsequenz der zumindest anfangs in aller Regel fehlendenDeutschkompetenz und der Unsicherheiten hinsichtlich des rechtlichen Status von Flüchtlingen, die sich allerdings in einem Prozess der Änderung befinden, zusätzliche Anforderungen und Risiken auf Flüchtlinge, aber auchauf die Arbeitgeber zukommen, ist eine betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Kalkulation von Integrationsmaßnahmen zusätzlich erschwert, wennauch für Unternehmen mit Beschäftigungsfeldern, in denen eher geringesprachliche und berufliche Anforderungen zu erfüllen sind, wesentlich einfacher. Der gesellschaftliche Nutzen der Integration liegt hingegen, auch ganzunabhängig von der Thematik der Demografie, auf der Hand: Nur auf diese14
1 EinleitungWeise kann ein Anstieg der Sozialausgaben begrenzt und mittelfristig vermieden sowie ungewünschte gesellschaftspolitische Folgen wie Unterschichtung und Rechtspopulismus verhindert werden.1.3 Der UntersuchungsansatzDas zentrale Ziel der hier vorgelegten Studie besteht vor dem skizziertenHintergrund darin, frühzeitig und exemplarisch erste Kenntnisse darüber zusammenzutragen, welche Maßnahmen zur Integration von Flüchtlingen ingroßen Unternehmen stattfinden oder geplant sind. Dabei wurde insbesondere mit dem Vorkommen folgender Maßnahmen gerechnet: Praktika,Sprachkurse, Informations- und Kontaktveranstaltungen, die Öffnung vorhandener oder die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze sowie Weiterbildungs- und Fördermaßnahmen, die Aktivierung von Beschäftigten zurUnterstützung von Flüchtlingen innerhalb und außerhalb der Betriebe, Informationsmaßnahmen für die Belegschaften, um Aufgeschlossenheit zu fördern und Ressentiments zu begrenzen.Darüber hinaus gilt das Interesse zweitens der Frage, wo aus Sicht der Unternehmen und der Arbeitnehmervertretungen Chancen, Begrenzungen undRisiken der betrieblichen Integration von Flüchtlingen zu suchen sind, insbesondere der Relevanz der betrieblichen Nachfrage nach Arbeitskräften,den Qualifikationen, Fähigkeiten und Kompetenzen der Flüchtlinge, der Akzeptanz von Integrationsmaßnahmen bei den Belegschaften sowie dem Einfluss früherer Aktivitäten zur Integration sowie gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.Drittens schließlich zielte die Erhebung von Maßnahmen zur betrieblichen Integration von Flüchtlingen auch darauf, gute Ansätze vorzustellen,um Handlungsmöglichkeiten für Arbeitnehmervertretungen und das Personalmanagement aufzuzeigen und zur Verbesserung der Praxis betrieblicherIntegrationsprozesse und möglicherweise auch zu einer Begrenzung politischer Fehlentwicklungen beizutragen.Zur Thematisierung der aufgeworfenen Fragen wurden elf große Unternehmen und eine Stiftung ausgewählt, in denen leitfadengestützte Expertinnen- und Experteninterviews mit verantwortlichen Personalmanagern, etwaArbeitsdirektorinnen und Arbeitsdirektoren oder deren Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern, oder Betriebsräten geführt und zugängliche Dokumenteanalysiert wurden (vgl. zur Dokumentenanalyse Schmidt 2016). Die Interviews mit Expertinnen und Experten wurden im Zeitraum von Februar bis15
Fluchtmigration und ArbeitsweltMai 2016 geführt. Alle Interviews wurden aufgezeichnet und anschließendstrukturiert protokolliert (vgl. zum Experteninterview u. a. Bogner et al.2005). Insgesamt wurden 16 Interviews mit 22 Personen geführt und darüberhinaus (wegen Terminschwierigkeiten) von zwei weiteren Befragten zweischriftliche Stellungnahmen eingeholt.2 Da es von großer Bedeutung für einmittel- und langfristiges Gelingen von Integrationsprozessen ist, dass sich dieberufliche Integration der Flüchtlinge nicht auf prekäre Tätigkeiten im Bereich gering qualifizierter Arbeit konzentriert, war die Auswahl der Unternehmen nicht daran orientiert, Unternehmen mit prekärer Einfacharbeitauszuwählen. Allerdings muss vermutet werden, dass sich in Bereichen prekärer Beschäftigung höhere Beschäftigungsanteile von Flüchtlingen finden.Letztlich wurden je zwei Großunternehmen der Metallindustrie (METALL 1 und 2) und der Stahlindustrie (STAHL 1 und 2) ausgewählt, drei Unternehmen der Chemieindustrie (CHEMIE 1 bis 3), von denen eines mit zwei weiteren Unternehmen verbunden ist. Bei letzteren handelt es sich um ein Unternehmen, das im Bereich von Immobilien und Bau tätig ist (IMMOBAU)und um eine Stiftung, die sich mit der sozialverträglichen Beendigung dessubventionierten Steinkohlenbergbaus beschäftigt (STIFTUNG). Darüber hinaus waren drei Dienstleistungsunternehmen in die Untersuchung einbezogen (SERVICE 1 bis 3).3 Die ausgewählten Großunternehmen unterscheidensich dabei nicht nur nach Branchenzugehörigkeit, sondern auch nach wirtschaftlicher Lage und Arbeitskräftebedarf (vgl. Tabelle 2). In allen ausgewählten Unternehmen sollten besondere Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge stattfinden oder sich zumindest in Planung befinden, denn wir zielennicht auf eine repräsentative Darstellung der Integration der Flüchtlinge,sondern darauf, eine Reihe von Fällen zu skizzieren, um daraus exemplarische Schlüsse zu ziehen.2Ursprünglich hatten wir die Untersuchung von acht Unternehmen vorgesehen und eher an acht Interviews gedacht. Auch da es nicht ganz einfach war, im Rahmen der begrenzten Zeit Termine mit dengewünschten Gesprächspartnern zu vereinbaren, wurde die Untersuchung etwas ausgeweitet, was letztlich zu einer aussagekräftigeren empirischen Basis geführt hat.3Für die Beratung bei der Auswahl der Unternehmen danken wir u. a. der Abteilung Mitbestimmungder Hans-Böckler-Stiftung. Für ihre Mitwirkung an unserem Projekt möchten wir uns außerdem herzlichbei den Vertreterinnen und Vertretern der untersuchten Unternehmen bedanken.16
17METALL 1METALL 2STAHL 1STAHL 2CHEMIE 1CHEMIE 2CHEMIE 3IMMOBAUSTIFTUNGSERVICE 1SERVICE 2SERVICE 3123456789101112Quelle: IAB onBergbauImmobilien, Bau, DienstleistungChemieChemieChemie, Kfz-ZuliefererStahlStahl-, MischkonzernElektroAutomobilBrancheÜbersicht über die häftigtein DeutschlandAngelerntestabilstabileher gutTrotz Personalabbau Fachkräfte mangel erwartetInteresse an Softwareentwicklern–gutkeinenBedarf an ausbildungsfähigenJugendlichen gutBedarf an ausbildungsfähigen JugendlichengutBedarf an ausbildungsfähigen Jugendlichenguteher schlechtBedarf an ausbildungsfähigen Jugendlichenkeineneher schlechtgutgutwirtschaftliche Situationkaumkaum, allenfalls Facharbeitkaum, Facharbeit, angelerntBedarfan ArbeitskräftenTabelle 21 Einleitung
2 DIE UNTERNEHMENSFÄLLE2.1 METALL 1: Eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauenEckdaten zum UnternehmenDas Unternehmen METALL 1 ist ein börsennotierter, internationaler Automobilhersteller. Im Jahr 2015 arbeiteten im Konzern über 280.000 Beschäftigteaus 177 Nationen, davon mehr als 170.000 in Deutschland und über 8.000Auszubildende. Der Frauenanteil an der Gesamtbelegschaft liegt bei etwa15 Prozent, etwa 21 Prozent der Beschäftigten haben einen ausländischenPass. Die Zahl der Beschäftigten hat gegenüber dem Vorjahr leicht zugenommen, der Umsatz ist deutlich gestiegen. Am Standort, an dem die Gesprächestattfanden, sind derzeit fast 22.000 Personen in der Fertigung von Motoren,Getriebe und Achsen, der Gießerei sowie Angestelltenbereichen beschäftigt.Sowohl die Mitglieder des Betriebsrats am Standort wie die des Gesamtbetriebsrats sind überwiegend bei der IG Metall organisiert.Maßnahmen und Engagement für FlüchtlingeBrückenpraktikumKernstück der beruflichen Integration von Flüchtlingen bei METALL 1 ist einsogenanntes „Brückenpraktikum“, mit dem laut einem Unternehmensdokument einer „erkennbar dreistelligen Zahl“ von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und Flüchtlingen in den Werken des Konzerns in Deutschlandder Einstieg in die Arbeitswelt ermöglicht werden soll. Das Brückenpraktikum ist auf eine Laufzeit von 14 Wochen angelegt. Zielgruppe sind Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die gute Aussichten auf einen dauerhaftenAufenthalt in Deutschland haben oder bereits eine Aufenthaltsgenehmigungbesitzen. Die Erstauswahl und Vermittlung geeigneter Personen erfolgtdurch die Bundesagentur für Arbeit (BA) oder lokale Jobcenter. Das Praktikum ist unterteilt in eine sechswöchige Phase, in der die BA die Regelleistungen fortzahlt, und eine achtwöchige Phase, in der das Unternehmen denPraktikantinnen und Praktikanten für geleistete Arbeitsstunden den Mindestlohn bezahlt. Außer der Tätigkeit in der Produktion besuchen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Sprachkurs, dessen Kosten zur Gänzevom Unternehmen getragen werden. Der Sprachunterricht wurde an externe18
2 Die UnternehmensfälleDienstleister vergeben, mit denen das Unternehmen auch sonst zusammenarbeitet. Jeden Tag erhalten die Flüchtlinge 3,5 Stunden Sprachkurs und arbeiten 3,5 Stunden in der Produktion. Am Ende der Maßnahme erhaltendie Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Praktikumszeugnis und Sprachenzertifikat.Mit dem „Brückenpraktikum“ ist keine Zusage des Unternehmens verbunden, die Praktikantinnen und Praktikanten nach Abschluss der Maßnahme in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen. Teil des Konzeptes ist es vielmehr, die Absolventinnen und Absolventen in andere Unternehmen mitPersonalbedarf sowie in mit METALL 1 kooperierende Leiharbeitsfirmen zuvermitteln, um so eine Brücke in den deutschen Arbeitsmarkt zu bauen.Einem Teil der Praktikantinnen und Praktikanten soll jedoch auch imUnternehmen selbst eine Perspektive gegeben werden. Über einen längerenZeitraum hinweg sollen 50 zusätzliche Ausbildungsplätze für potentielleKandidatinnen und Kandidaten aus den Brückenpraktika zur Verfügung gestellt werden. Abgesehen von zusätzlicher Sprachförderung, die die Flüchtlinge bei Bedarf erhalten, werden sie gleich wie andere Bewerberinnen undBewerber behandelt und müssen wie sie einen Eignungstest bestehen.Soforthilfe und soziale IntegrationDarüber hinaus unterstützt das Unternehmen Maßnahmen zur Soforthilfeund zur sozialen Integration von Flüchtlingen. Seit 2013 wurden in Kooperation mit einer Hilfsorganisation mehrere Hilfskonvois zur Versorgung vonFlüchtlingen u. a. in die Türkei, den Nordirak, Serbien und Mazedonien geschickt. Soforthilfe wurde außerdem im September 2015 in Form einer Unternehmensspende von einer Million Euro für Flüchtlingskinder geleistetund einen Monat darauf mit einer Mitarbeiter-Spendenaktion, bei der vomUnternehmen jeder von Beschäftigten gespendete Euro verdoppelt wurde. Sokonnte die Flüchtlingsno
einkehren lassen – Praktika und duales Studium für Hochqualifizierte 109 2.12 SERVICE 3: Zugang zu Arbeit auch ohne Ausbildung 120 3 Vergleich und Schlussfolgerungen 129 3.1 Vergleich 129 3.2 Schlussfolgerungen139 Literatur 145