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Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Z ivile Lösungenfür Syrien“ an die Mitglieder des Deutschen BundestagesProtestaktion der Kampagne am 10. November 2016, dem Tag der Abstimmung über die erste Verlängerung desBundeswehrmandats für Syrien, vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, Bild: Jonas Klein.
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“EinleitungSeit 2011 findet in Syrien ein Krieg statt, dessen Brutalität und Grausamkeit keine Grenzen zukennen scheinen. Geschätzt über 400.000 Menschen haben bislang ihr Leben verloren, Millionenwurden vertrieben. Das Völkerrecht und die Genfer Konventionen zum Schutz der Zivilbevölkerungwerden von allen Seiten immer wieder missachtet. Die Wahrnehmung des Krieges und seinerVielzahl an Akteur*innen ist unscharf. Die unterschiedlichen Konfliktlagen und -linien sind nichtimmer klar voneinander zu unterscheiden. Mehr als 20 Staaten sind direkt oder indirekt amKonflikt beteiligt. Mehr als 200 bewaffnete Gruppen kämpfen in wechselnden Konstellationen undBündnissen mit- und gegeneinander. Alle Akteur*innen verfolgen dabei ihre eigenen regionalen,nationalen und globalen Ziele und Interessen.Auch Deutschland ist mittlerweile Kriegspartei. Seit Dezember 2015 ist die Bundeswehr aktiv amKrieg in Syrien beteiligt – offiziell „nur“ am Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS). Dader Einsatz aber u. a. auf syrischem Territorium stattfindet, ergibt sich zwangsläufig auch eineKonfliktsituation gegenüber der syrischen Regierung und deren Verbündeten.Wir sind uns bewusst, dass wir als deutsche Bürger*innen und Friedensbewegung nur begrenztenEinfluss auf die Politik der syrischen, der US-amerikanischen und der russischen Regierung haben.Aber die Politik des Deutschen Bundestages können und wollen wir als Wähler*innen beeinflussen.Die Parlamentarier*innen allein, und nicht etwa die Bundesregierung oder andere Gremien, sindunserer Verfassung nach dazu befugt, zu entscheiden, ob und wie die Bundeswehr eingesetzt wirdund wie viele Mittel für Zivile Konfliktbearbeitung im Bundeshaushalt bereitgestellt werden. Undwir als Wähler*innen entscheiden, welche Bundestagsabgeordneten mit welchen Positionen unsvertreten. Deshalb richten wir unsere Forderungen direkt an unser Parlament.Die Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“ fordert von allen Abgeordneten desDeutschen Bundestages: Vermeiden Sie militärische Scheinlösungen! Setzen Sie sich stattdessenmit allen Ihnen zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mitteln für diplomatische, zivile undhumanitäre Lösungen im Syrienkonflikt und im Kampf gegen den Terrorismus ein!Eine friedenslogische deutsche Syrienpolitik besteht für uns im Wesentlichen aus drei Schritten: der Beendigung des Bundeswehreinsatzes in Syrien der Fortführung des Friedensprozesses unter UN-Verantwortung sowie der Aufstockung der humanitären Hilfe und dem Ausbau der ZivilenKonfliktbearbeitung.Diese drei Forderungen haben wir im Folgenden begründet und ausgearbeitet.2
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“Forderung 1: Keine Verlängerung des Bundeswehrmandats für SyrienAm 4. Dezember 2015 beschloss der Deutsche Bundestag als Reaktion auf die Terroranschläge am13. November 2015 in Paris das Bundeswehrmandat für einen Einsatz gegen den sogenanntenIslamischen Staat in Syrien. 445 der 597 anwesenden Abgeordneten stimmten mit „Ja“, 145 mit„Nein“, 7 enthielten sich, bei 33 nicht abgegebenen Stimmen. Die Bundeswehr leistet bei diesemEinsatz vor allem logistische Unterstützung, den Schutz von Verbündeten und umfassendeAufklärungsarbeit für Bomber- und Drohneneinsätze. Dies bedeutet eine aktive deutscheKriegsbeteiligung. Die Entscheidung für den Einsatz fiel innerhalb eines Zeitfensters, das keine gründliche öffentliche Debatte über den Sinn, die Zieleund die Erfolgsaussichten des Einsatzes zuließ; ohne die nötigen parlamentarischen Prozesse der umfassenden Meinungsbildung und derfundierten Entscheidungsfindung; gegen schwerwiegende ethische, verfassungsrechtliche und politische Bedenken; unter völkerrechtlicher Missachtung des UN-Mitglieds Syrien und unter Missachtung derNotwendigkeit eines Mandats des UN-Sicherheitsrats.Am 11. November 2016 wurde das Bundeswehrmandat mit 445 Ja-Stimmen gegen 139 NeinStimmen und 2 Enthaltungen bei 44 nicht abgegebenen Stimmen um ein weiteres Jahr verlängert.Im Zuge dieser Entscheidung wurde das Mandat auch um den Einsatz von AWACSAufklärungsflugzeugen der NATO erweitert. Spätestens dies macht auch die NATO zur inoffiziellenKriegspartei, was dazu beitragen kann, den in Syrien ausgetragenen Stellvertreterkrieg zwischenRussland und dem Westen weiter zu befeuern.Das militärische Engagement der Bundeswehr in Syrien verstößt nach Meinung vieler Expert*innengegen Grundgesetz und Völkerrecht. Zwar erfolgten sowohl die Erstzustimmung im Dezember 2015als auch die Verlängerung des Mandats im November 2016 jeweils mit großer Mehrheit derMitglieder des Deutschen Bundestages. Insofern ist die formale Legalität nicht zu bezweifeln.Sachliche Rechtmäßigkeit ist damit aber keineswegs gewährleistet. Die Bundesregierung begründetdie Mandatierung gegen den IS mit dem Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der UN-Charta,mit der EU-Beistandsklausel gemäß Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags und mit den Resolutionen2170 (2014), 2199 (2015) und 2249 (2015) des UN-Sicherheitsrats. Dagegen werden er institutioneller wie politischer Einbettung gravierende rechtliche Bedenkenvorgetragen. Das Mandat ist damit juristisch keineswegs so wasserdicht, wie die Bundesregierungbehauptet.Das deutsche Parlament kann Einsätze beschließen und beenden. Die Abgeordneten haben diePflicht, ihr im Grundgesetz festgeschriebenes „Mandat des Gewissens“ und das Friedensgeboternst zu nehmen. Bei Entscheidungen zu Bundeswehreinsätzen hat jeder Fraktionszwang sich demGewissen des*der einzelnen Abgeordneten zu beugen. Eine solche Gewissensentscheidung, dieZeit zur Reife benötigt, verträgt keinen Zeitdruck ohne jede erkennbare Not. Wenn drei Tage nach3
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“einem Kabinettsbeschluss und drei Wochen nach den Anschlägen des IS in Paris der Bundestagbeschließt, bis zu 1.200 Soldaten, Tornado-Flugzeuge und eine Fregatte nach Syrien zu entsenden,kann von einer fundierten Entscheidung unter umfassender Abwägung von Kosten und Nutzen,von ethischen und rechtlichen Bedenken kaum die Rede sein.Alle bisherigen Erfahrungen mit Auslandseinsätzen wie dem in Afghanistan haben gezeigt: Gewaltist nicht mit Gewalt zu bekämpfen, Terrorismus nicht mit Militär. Im Gegenteil: MilitärischeInterventionen bilden den Nährboden für Terrorismus und Extremismus. Ein Militäreinsatz inSyrien verhindert keine Terroranschläge auf europäischem Boden oder anderswo, vielmehrverschafft jedes zivile Opfer der Luftangriffe dem IS und anderen terroristischen Organisationenneue Rechtfertigung für die Rekrutierung neuer Anhänger*innen. Und auch wenn es stellen- undphasenweise zu gelingen scheint, den IS in Syrien und im Irak militärisch zurückzudrängen: Es istdas Wesen von terroristischen Gruppierungen, nach Rückschlägen auch aus dem Untergrundweiterzukämpfen und kurze Zeit später in anderen Regionen, ggf. mit anderem Namen und neuenFührungspersönlichkeiten, wiedererstarkt aufzutauchen. Nur wer die Ursachen des Terrorismusbeseitigt und seinen Wurzeln die Nahrung entzieht, kann ihn nachhaltig besiegen. DurchMilitäreinsätze erreicht man langfristig das Gegenteil.Wir fordern aus diesen Gründen alle Bundestagsabgeordneten auf: Sagen Sie NEIN bei derjährlichen Abstimmung über die Verlängerung des Bundeswehrmandats für Syrien! Beenden Sieden Bundeswehreinsatz in Syrien!Damit einher geht auch die Forderung nach einem sofortigen Stopp sämtlicher Waffenlieferungenin die Region – egal, ob es um die im Jahr 2014 beschlossenen Waffenlieferungen an dieKurd*innen oder um die umfangreichen Waffenlieferungen an die deutsche NATO-Partnerin Türkeioder an Saudi-Arabien (und andere Golfstaaten) geht: Der Verbleib der gelieferten Waffen kannebenso wenig kontrolliert werden wie ihr völkerrechtlich konformer Einsatz oder der weitereEinsatz der Waffensysteme, die durch den Import ersetzt werden. Waffenlieferungen verschärfenund verlängern Konflikte. Der Stopp aller Waffenexporte in die Region kann daher einentscheidender Beitrag zur Beendigung des Krieges in Syrien sein.Wie in vielen anderen Teilen der Welt schießen auch in Syrien und den Nachbarländern Menschenmit Waffen Made in Germany aufeinander. Aus Syrien fliehen Menschen auch vor deutschenGewehren und Raketen, denen inzwischen unzählige Menschen zum Opfer gefallen sind, getötetoder verwundet durch alle Kriegsparteien. Laut Medienberichten schießt mittlerweile auch der ISmit deutschen Waffen.4
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“Das Wissen um die Wirkung von Waffenlieferungen bedingt notwendig die Forderung nach eineminternationalen Waffenembargo für alle direkt am Konflikt Beteiligten, Restriktionen derWaffenproduktion und des Waffenhandels. Nötig sind in diesem Zusammenhang internationaleProzesse gegen Waffenhändler*innen, die dieses Embargo durchbrechen. Auch Programme zumEinsammeln und Verschrotten der Waffen nach Waffenstillständen und Friedensabkommen solltenvorbereitet werden. Alle diese Prozesse liegen zwar primär in der Verantwortung der Exekutive,können aber durch nationale, europäische und internationale parlamentarische Initiativenentscheidend vorangetrieben werden.Wir fordern aus diesen Gründen alle Bundestagsabgeordneten auf: Wenden Sie sich entschiedengegen die Lieferung aller Rüstungsgüter und „dual-use“-Produkte in die Länder des NahenOstens! Verbinden Sie Ihr NEIN zum Bundeswehrmandat mit einem nicht weniger deutlichenNEIN zu Waffenlieferungen in die Region!5
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“Forderung 2: Friedensprozess unter UN-Verantwortung stärken –Zivilgesellschaft einbeziehenEin Nein zur militärischen Intervention muss zugleich ein Ja zu zivilen Konfliktlösungen sein. Zuihnen kann die deutsche Politik, können die Abgeordneten des Deutschen Bundestages,entscheidende Beiträge leisten. Wer verantwortlich handeln will, muss mit der Logik des Kriegesbrechen und die Option für die Friedenslogik öffnen. Denn ein „weiter so“ heißt: mehr Krieg. Anerster Stelle sollte dabei das Bemühen um die Fortführung und Stärkung des Friedensprozessesunter UN-Verantwortung stehen. Wir vertreten dabei die Meinung: Die letztendliche Entscheidungüber die Zukunft ihres Landes sollte ausschließlich in den Händen der syrischen Bevölkerungliegen. Die Vereinten Nationen und auch andere Initiativen und Bündnisse innerhalb derinternationalen Staatengemeinschaft können auf der Suche nach einer Friedenslösung für das Landaber eine wertvolle Rolle spielen.Dass die NATO spätestens durch den Einsatz der AWACS-Aufklärungsflugzeuge inoffiziellKonfliktpartei in Syrien wurde, macht ein glaubwürdiges Eintreten für diplomatische Lösungen vonSeiten Deutschlands und der westlichen Staaten jedoch nicht einfacher. Wenn Deutschlanddiplomatisch in Richtung eines Waffenstillstands und einer nachhaltigen Friedenslösung etwaserreichen will, muss es zunächst seine militärische Beteiligung an diesem Krieg mit seinen unklarenFronten beenden. Wir sind der Überzeugung: Nicht die militärische Beteiligung durch denBundeswehreinsatz „berechtigt“ Deutschland zur Teilnahme an Friedensgesprächen, sondern erstder Verzicht auf eine eigene militärische Beteiligung macht es zu einem glaubwürdigen Partner.An einem UN-gestützten Friedensprozess sollten möglichst alle Konfliktparteien beteiligt sein. Undso umstritten es auch ist – alle bewaffneten terroristischen Gruppen sollten in Gespräche undandere Bemühungen um Frieden in Syrien einbezogen werden, genauso wie der syrische PräsidentAssad. Eine Dämonisierung von politischen oder militärischen Gegner*innen und eineVerweigerung jeglicher Kommunikation mit ihnen schaden der Suche nach Frieden, machen sie nurnoch schwieriger. Die Geschichte zeigt, dass militärische, paramilitärische und terroristische Gewaltnur dann zu stoppen ist, wenn auch Machthaber*innen und Gegner*innen, die unserenMaßstäben nach verbrecherisch und grausam handeln, zu Verhandlungspartner*innen werden.Wir wünschen den Abgeordneten des Deutschen Bundestages Mut, dem langen Atem derDiplomatie und des Dialogs zu vertrauen, statt vermeintlich schnellen militärischen Lösungen ihreZustimmung zu geben. Auch wenn Rückschläge nicht ausbleiben werden – dieser Mut und dieseGeduld sind die einzigen sicheren Grundlagen für einen nachhaltigen Friedensprozess. Ihn könnendeutsche Politiker*innen fördern, indem sie sich z. B. dafür einsetzen, dass alle militärischen Aktivitäten, alle Bombardierungen und Drohnen-Angriffe eingestelltwerden, verbunden mit Verhandlungsangeboten; dass lokale und regionale Waffenstillstände und waffenfreie Zonen angestrebt werden, beiBedarf überwacht durch UN-Blauhelme;6
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“ dass die von Syrer*innen durchgeführten innersyrischen Versöhnungsprozesse unterstütztwerden; dass eine ständige Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und MittlerenOsten (KSZNMO) nach dem Vorbild der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit inEuropa (KSZE) einberufen wird; dass Visa- und Transportmöglichkeiten geschaffen werden, damit Menschen legal ausKriegsgebieten nach Europa und in andere sichere Gebiete ausreisen können; dass es ein Bleiberecht für Deserteur*innen und Kriegsdienstverweigerer*innen ausKriegsgebieten gibt, wenn ihnen politische oder juristische Verfolgung droht; dass ein Hilfsprogramm für die Region entwickelt wird, einschließlich Perspektiven für dieMenschen in den Flüchtlingslagern: für den Wiederaufbau, für sozialstaatliche Einrichtungen,vergleichbar mit dem Marshallplan für die Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg; dass eine öffentliche Diskussion über einen „Fahrplan für den Frieden“ (eine „Road Map forPeace“) Priorität erhält vor jeder Debatte über Kriegseinsätze; dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Syrien wieder aufgenommenwerden.Diplomatie mit ihren formellen und informellen sowie direkten und indirekten Gesprächen darfsich dabei nicht auf die Ebene der Staatsoberhäupter und militärischen Anführer*innenbeschränken. Die syrische Bevölkerung und die Zivilgesellschaft innerhalb und außerhalb Syriensmüssen angemessen zu Wort kommen – auch und vor allem solche Gruppen, die sonst beiFriedensverhandlungen traditionell außen vor bleiben, z. B. syrische Frauen und Frauengruppensowie Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, ethnischer und religiöser Minderheiten undgewaltfreier Gruppierungen. Es gilt, aus dem Friedenswillen und den Erfahrungen und aus demReichtum der Ideen zu schöpfen, die in der syrischen Gesellschaft vorhanden sind.Wir fordern aus diesen Gründen alle Bundestagsabgeordneten auf: Setzen Sie sich für diesediplomatischen Schritte und Maßnahmen zur Schaffung eines nachhaltigen Friedens in Syrienmit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und Kontakten auf parlamentarischer Ebeneein!7
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“Forderung 3: Humanitäre Hilfe aufstocken – Zivile KonfliktbearbeitungausbauenZu den elementaren Grundlagen für Frieden zählt die sofortige Verbesserung der humanitärenSituation: Der Krieg in Syrien hat nach unterschiedlichen Schätzungen bereits mehr als 400.000Todesopfer gefordert und unzählige Menschen verletzt und traumatisiert zurückgelassen. Mehr als11 Millionen Syrer*innen mussten seit Beginn des Krieges ihre Heimatstädte und -dörfer verlassen,mehrere Millionen von ihnen leben heute unter schwierigsten Bedingungen in Camps in dendirekten Nachbarländern. Gleichzeitig sind Millionen von Menschen innerhalb Syriens weiterhinvon allen Seiten der direkten Kriegsgewalt ausgesetzt. All diese Menschen benötigen dringendhumanitäre Hilfe: Lebensmittel und sauberes Trinkwasser, insbesondere aber medizinischeVersorgung mit Geräten, Instrumenten und Medikamenten, die nahezu vollständig durch Bombenund Granaten zerstört und vernichtet worden sind. Hier wäre auch die Einrichtung einer Luftbrückenach Europa für Schwerverletzte aus Syrien selbst sowie aus den Flüchtlingslagern in Jordanien, imLibanon und in der Türkei eine notwendige Maßnahme.Und auch in den Gebieten, in denen nicht gekämpft wird, werden die Lebensbedingungen derSyrer*innen immer schwieriger. Enorm gestiegene Preise, Wasser- und Energiemangel, häufigeStromsperren und Nachschubprobleme – vor allem von jeglichem medizinischen Gerät, Materialund Medikamenten – sind außer dem Krieg auch dem massiven Wirtschaftsembargo geschuldet,das gegen Syrien verhängt wurde und das auch und vor allem die Zivilbevölkerung trifft. Diesessollte deshalb sofort beendet werden.Deutschland ist mit mehreren Hundert Millionen Euro pro Jahr einer der größten bilateralenGeldgeber*innen für humanitäre Hilfe in Syrien. Doch die dramatische Situation in Syrien, imLibanon und in den angrenzenden Staaten erfordert noch mehr internationale und damit auchdeutsche Hilfe.Der Zugang zur humanitären Hilfe muss durch Waffenstillstandsabkommen abgesichert werden –wo das überregional nicht möglich ist, können lokale Vereinbarungen helfen. AlleEinflussmöglichkeiten auf die kämpfenden Parteien müssen genutzt werden, um deutlich zumachen, dass ein militärischer Städtekampf aus humanitären Gründen nicht akzeptabel sein kann.Wir fordern aus diesen Gründen alle Bundestagsabgeordneten auf: Setzen Sie sich mitNachdruck für eine weitere Erhöhung der Gelder für humanitäre Hilfe in Syrien und denNachbarländern ein! Setzen Sie sich gleichermaßen für alle zivilen Maßnahmen ein, die politischund praktisch nötig und möglich sind, damit Hilfe zu den Menschen in den Kriegsgebietengelangen kann! Setzen Sie sich für ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien ein, damitdas Land in die Lage versetzt wird, selber Hilfe zu leisten und sein Gesundheitssystem wiederaufzubauen!8
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“Doch nicht nur die akute Not der Menschen in Syrien muss gelindert werden. Die syrischeBevölkerung braucht auch mittel- und langfristig Friedens- und Zukunftsperspektiven. Erarbeitetwerden können diese durch Maßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung, langfristig undverlässlich gestützt auf Gruppen und Menschen, die sich für den Frieden und die humanitäreVersorgung der syrischen Bevölkerung einsetzen. Unter Ziviler Konfliktbearbeitung verstehen wirdabei alle nichtmilitärischen staatlichen und nichtstaatlichen Maßnahmen, die darauf abzielen,Konflikte gewaltfrei zu bearbeiten. Mit ihnen soll Gewalt präventiv verhindert, akute Gewaltbeendet und der Wiederkehr neuer Gewalt in Nachkriegsgesellschaften vorgebeugt werden. Dazugehören Maßnahmen zur Aussöhnung und zur Reintegration ehemaliger Kämpfer*innen,Demokratie- und Partizipationsprojekte und die Förderung von Graswurzel-Friedensinitiativen vorOrt. Es gibt in der syrischen Gesellschaft eine Fülle solcher Initiativen, von Versöhnungskomiteesund von zivilgesellschaftlichen Strukturen der gewaltfreien Lösungsmöglichkeiten. Es gibt Inselndes gewaltfreien Widerstands in Syrien: Orte, an denen die Menschen gewaltfrei gegen die Gewaltvon allen Seiten protestieren, an denen Gruppen – auch Frauengruppen – sich politischorganisieren und an denen den Gräueln des Krieges Kunst und Kultur entgegengestellt werden.Diese Inseln des zivilen Widerstands müssen geschützt und gestärkt werden. Denn ein nachhaltigerFrieden für Syrien kann nur aus der Mitte der Gesellschaft heraus entstehen.Nur auf diesem friedlichen und zivilen Weg, nicht durch Militäreinsätze in Syrien oder durchWaffenlieferungen zur Bekämpfung des IS, ist auch der Terror zu bremsen. Jedes zivile Opfer(westlicher) militärischer Interventionen verschafft dem IS neue Legitimation, die er für dieRekrutierung von Anhänger*innen nutzen kann. Je mehr der IS sich als Opfer westlicher Aggressionund als vermeintlicher Verteidiger muslimischer Werte darstellen kann, desto eher schließen sichihm junge Menschen an, die entweder in ihrer Heimat keine Zukunft für sich sehen oder hier inunseren westlichen Gesellschaften keinen Platz finden: Acht der zehn Attentäter von Paris warenfranzösische und belgische Staatsbürger.Zu den Maßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung und Terrorismusprävention, die die deutschePolitik durch finanzielle und personelle Unterstützung fördern kann, zählen zum Beispiel: die Unterstützung von Versöhnungs- und Entfeindungsprogrammen, von Projekten, dieKriegsverbrechen dokumentieren und damit Grundlagen für die Vergangenheitsaufarbeitungsein können; Demokratieprojekte, in denen ziviler Widerstand und politische Partizipation gefördert werden,um das gewaltfreie Engagement von syrischen Bürger*innen zu unterstützen; dabei sindinsbesondere benachteiligte Gruppen wie z. B. Frauen zu fördern; Projekte, die Syrer*innen vor Ort und im Exil in Konflikttransformation und ZivilemPeacekeeping schulen und für die Erfahrungen aus anderen Konfliktregionen weitergegebenwerden können; ein Programm zur Unterstützung für die Heimkehr von geflüchteten Menschen nach Ende derKämpfe, sofern die Menschen in ihre Heimat zurückkehren können und wollen;9
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“ ein international getragenes Ausstiegsprogramm für ehemalige IS-Kämpfer*innen undKämpfer*innen anderer bewaffneter (terroristischer) Gruppen; die Unterstützung von „Runden Tischen“ zivilgesellschaftlicher Akteur*innen (religiöseGruppierungen, Gewerkschaften, organisierte und nichtorganisierte Vertretungenunterschiedlichster Interessen, lokale und regionale Friedensinitiativen,.) und ggf.Vertreter*innen bewaffneter Gruppierungen, an denen Gespräche zu verschiedenen Aspektengeführt werden können, ohne mit der Erwartung konkreter Lösungen belastet zu sein; die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region, auch für ehemalige Kämpfer*innen; die nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern der Regiondurch finanzielle Unterstützung der UN-Flüchtlingsarbeit; pädagogische Initiativen, die den Millionen Kindern und Jugendlichen in den Flüchtlingslagernund in Syrien selbst wieder zu ihrem Recht auf Bildung nach der UN-Menschenrechtschartaverhelfen und außerdem die lebenswichtige Aufgabe übernehmen, über die Gefahren durchLandminen, Blindgänger und andere Hinterlassenschaften des Krieges aufzuklären; die Schulung von Konfliktbearbeiter*innen und Mediator*innen für die Phase nach dem Krieg –vorrangig von Geflüchteten aus Syrien, die aktive Hilfestellung bei der Aufarbeitung vonerlebten Traumata erhalten und auf der Basis eines „posttraumatischen Wachstums“ anderenhelfen können; die Vergabe von Kleinkrediten für den Wiederaufbau, etwa für Agrarprojekte, die diekatastrophale Versorgungslage verbessern helfen; und schließlich hier in Deutschland: der Auf- und Ausbau eines Zentrums für ZivileKonfliktbearbeitung; zunächst angesiedelt beim Auswärtigen Amt, zukünftig als eigenständigesMinisterium. Mit dessen Hilfe sollen die Konzepte der Zivilen Konfliktbearbeitung weitererarbeitet, erprobt, finanziell unterfüttert und damit in deutlich größerem Maße als bishereinsatzfähig werden.Es gibt zivile Alternativen zum Krieg, friedliche Möglichkeiten zur Prävention und Beilegung vonKonflikten. Mit der vom BMZ geförderten Arbeit des Zivilen Friedensdienstes und ähnlichenProgrammen hat Deutschland hier schon wichtige Strukturen geschaffen. Geld für all dieseProjekte und Maßnahmen ist vorhanden: Selbst ein nur kleiner Teil der jährlich ca. 37 Milliarden,die in den Etat des Bundesverteidigungsministeriums fließen, würde reichen, um die Strukturender Zivilen Konfliktbearbeitung und Friedensförderung hier in Deutschland entscheidendauszubauen. Damit würden die Grundlagen dafür geschaffen, auf Krisen und Konflikte wie den inSyrien flexibel, schnell und koordiniert zu reagieren – und das ohne Militär, nur mit zivilemPersonal und Friedensfachkräften. Notwendig ist ein Zusammenspiel von staatlichen,nichtstaatlichen und internationalen Organisationen. Langfristig geht es darum, das Denken undHandeln in militärischen Kategorien in friedenslogische Kategorien umzulenken.Wir fordern aus diesen Gründen alle Bundestagsabgeordneten auf: Unterstützen Sie den Ausbauder Strukturen der Zivilen Konfliktbearbeitung in Deutschland! Machen Sie damit die flexibleund konsequente Anwendung ziviler Maßnahmen der Friedensförderung in Syrien und anderenTeilen der Welt möglich!10
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages:Ein Appell zum SchlussWir sind uns bewusst, dass auch wir nicht die eine und einzig wahre Lösung für Frieden in Syrienhaben. Die Vorschläge, Ideen und Analysen in diesem Papier sind sicher nicht abschließend, zumalsich die Situation in Syrien nahezu täglich verändert. Konfliktlinien wie die zwischen der Türkei undden syrischen Kurd*innen oder zwischen Russland und dem Westen können wir hier zum Beispielnur andeuten. Und wir sind uns auch bewusst, dass wir als Außenstehende, als nicht direkt vomKonflikt Betroffene, nicht diejenigen sein können, die über die Zukunft Syriens entscheiden. Dochwir sind davon überzeugt, dass die Kritik und die Vorschläge, die wir in diesem Papier formulieren,wichtige und konstruktive Schritte hin zu einer umfassenden Friedenslösung sein können. Und wirsind überzeugt, dass eine deutsche Politik, die den Grundsätzen der Gewaltfreiheit und derFriedensförderung folgt, auch in anderen Teilen der Welt menschliches Leid verhindern kann.Deutsche Politik kann mit friedlichen Mitteln dazu beitragen, dass der Krieg in Syrien beendet undder Terrorismus ausgetrocknet wird. Kriegs- und eskalationsfördernde Handlungen und Politikenmüssen dafür unterlassen, friedensfördernde Ideen aktiv unterstützt werden. Dies gilt für Syriengenauso wie für alle anderen Konfliktgebiete dieser Welt.In diesem Sinne schließen wir mit einem Appell an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages:Beenden Sie den Bundeswehreinsatz und setzen Sie sich mit uns für zivile Lösungen in Syrien ein!Gestalten Sie die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik als Friedenspolitik!Befeuern Sie nicht den Krieg – fördern Sie den Frieden!11
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern!Forderungen der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“Über die KampagneDie Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“ fordert von den Abgeordneten des DeutschenBundestages: das Bundeswehrmandat für Syrien nicht zu verlängernsich stattdessen für eine Stärkung des Friedensprozesses unter UN-Verantwortung einzusetzen, inden die Zivilgesellschaft angemessen einzubeziehen istsowie die deutsche humanitäre Hilfe aufzustocken und gleichzeitig die Instrumente der ZivilenKonfliktbearbeitung auszubauen und einzusetzen.Unsere Vision: Ein Paradigmenwechsel in der AußenpolitikUnsere langfristige Vision ist ein Paradigmenwechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik: Wegvon der kurzsichtigen, destruktiven Politik der militärischen Auslandseinsätze hin zu einer konstruktiven, aufZivile Konfliktbearbeitung setzenden, partnerschaftlichen Ausrichtung. Die Kampagne „MACHT FRIEDEN“soll ein Baustein auf dem Weg dorthin sein, der – so hoffen wir – größere Veränderungen in Gang setzenkann.Unser SelbstverständnisWir bekennen und verpflichten uns zum Prinzip der Gewaltfreiheit und zur Einhaltung der Menschenrechte.Wir lehnen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit,Islamophobie, Antisemitismus, Antiziganismus, Sexismus, Homophobie, Altersdiskriminierung undBehindertenfeindlichkeit und jede Art von Nationalismus und Rechtspopulismus ab.Die Kampagne wird getragen von:AG Frieden Trier, Arbeitsstelle Frieden der Evangelischen Landeskirche in Baden, AWC Deutschland e. V. –Deutscher Zweig der Weltbürgerinnen & Weltbürger, Bremer Friedensforum, Bund für Soziale Verteidigunge.V. (BSV), Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Deutsche Sektionder Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW),Deutsche Sektion der Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen (IALANA),Deutscher Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes, Essener Friedensforum, Forum Friedensethik (FFE)in der Evangelischen Landeskirche in Baden, Frauennetzwerk für Frieden e. V., Friedensbüro Hannover e. V.,Friedenskreis Halle, Friedenszentrum Braunschweig e. V., Gemeinschaft der Arche – Gewaltfreiheit undSpiritualität, Kooperation für den Frieden, Lebenshaus Schwäbische Alb – Gemeinschaft für sozialeGerechtigkeit, Frieden und Ökologie e. V., Mönchengladbacher Friedensforum, Münchner Friedensbündnis,Netzwerk Friedenskooperative, Netzwerk Friedenssteuer, pax christi – Deutsche Sektion e. V., pax christiKommission Friedenspolitik, Werkstatt für Gewaltfreie Aktion (WfGA)KontaktMACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien, c/o Netzwerk Friedenskooperative, Römerstr. 88, 53111 BonnTel.: 0228-692904, Fax: 0228-692906, Email: [email protected], Web: www.macht-frieden.de,Facebook: www.fa
Nicht den Krieg befeuern, sondern den Frieden fördern! Forderungen der Kampagne „MA HT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“ an die Mitglieder des Deutschen undestages Protestaktion der Kampagne am 10. November 2016, dem Tag der