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WAS IST EIGENTLICH WAHR?Harmjan DamWAS IST EIGENTLICH WAHR?ZUGÄNGE ZUR WIRKLICHKEIT INTHEOLOGIE UND NATURWISSENSCHAFTENEine didaktische Kursstruktur ausgehend von E2.1Im Kerncurriculum für Evangelische Religion in Hessen wer den die Absichten des Halbjahres E2 kurz zusammengefasst:„In Kurshalbjahr E2 wird der spezifische Zugang von Religionzur Wirklichkeit verdeutlicht. Wie unterscheidet sich das FachEvangelische Religion von anderen (Schul-)Fächern, welchesMenschenbild und welche Deutung von Wirklichkeit werdenhier vertreten?“ (S. 25). Die Schülerinnen und Schüler, die indie Oberstufe kommen, haben in der Schule schon zehn Jah re die Erfahrung gemacht, dass sie unterschiedliche Fächerhaben. Sie verbinden ein „Fach“ aber in der Regel mit un terschiedlichen Inhalten und Themen (Deutsch, Geschichte,Mathe usw.) und weniger mit den unterschiedlichen Zugän gen zur Wirklichkeit, den „Modi der Weltbegegnung“. Nochweniger haben sie reflektiert, dass die Fächer unterschiedli che Methoden und Wahrheitsansprüche repräsentieren (vgl.Einleitung). Gerade Religion und Ethik haben in der Schuleden Auftrag sich mit den „Fragen hinter den Fragen“ zu be fassen und die unterschiedlichen Zugänge zur Wirklichkeitoffenzulegen und zu reflektieren. Dies verbindet sich mit der12Erfahrung junger Menschen, dass sie in hohem Maße mit ei ner Vielfalt an Überzeugungen und Vorstellungen konfrontiertwerden. In dieser Vielfalt von unterschiedlichen Deutungssys temen von Mensch, Welt und Wirklichkeit müssen sie für sichklären, wo sie stehen, woran sie sich orientieren, wie sie sichselbst sehen bzw. sehen möchten.Um die großen Fragen nach Wahrheit und Wirklichkeit fürSchülerinnen und Schüler konkret und verständlich zu ma chen, ist im KCGO für E2 der Fokus auf das Thema Theo logie und Naturwissenschaften gelegt. Durch die Beschäf tigung mit Wirklichkeitsverständnissen in Theologie undNaturwissenschaft und mit den damit korrespondierendenunterschiedlichen Menschenbildern, entdecken sie den spe zifischen Beitrag des Faches Evangelische Religion, seinWahrheitsverständnis und seine Begründung der Menschen würde. In E2 wird so auch ein erster Hinweis auf das Thema„Menschenbilder“ gegeben, das sich von Q1 bis Q4 als „roterFaden“ durch die Oberstufe zieht.AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS „WAS IST EIGENTLICH WAHR?“

WAS IST EIGENTLICH WAHR?1. Wie man aneinander vorbei reden kann.Verschiedene Fächer haben unterschiedliche Zugänge.2. Um zu verstehen muss man den(historischen) Kontext kennen.Schöpfungserzählungen. Gattungen in Medien,Literatur und Bibel. Umwelt, Quellen.3. Wie denken die Naturwissenschaften,wie die Theologie?Zwei Zugänge zur Wirklichkeit.4. Wahrheit, Wahrnehmung und Erkenntnis.Empirismus und Idealismus/Rationalismus.Konstruktivismus. Relationaler Wahrheitsbegriff5. Der hermeneutische Zirkel6. Schöpfung, Kreationismus,SozialdarwinismusDeutungen der Paradies-GeschichteGanzschrift Jona lesen und deuten7. Weitere Themen zum Verstehen der Bibel: Deutungen der Taufe Jesu im Jordan;Zwei Quellen Theorie; Entstehung der Bibel; Ist die Bibel ein Märchenbuch?;Die Wahrheit der Bibel. Bibliologe zu Gen 4,1-16 und Mk 2, 1-12Heilige Bücher in den Weltreligionen.Was ist „heilig“? Was macht Texte heilig?Bibel und Koran: Kann man diese vergleichen?Themenfeld E2.1 Zugänge zur Wirklichkeitin Theologie und Naturwissenschaften.Was ist eigentlich wahr? Vergleich von Schöpfung und Evolution als kom plementäre Erklärungen von Weltentstehung(z. B. Vergleich biblischer Schöpfungserzählungenin Gen 1 und 2 und Psalm 104, Anliegen von unter schiedlichen Schöpfungsentwürfen und von Welt entstehungstheorien) Theologie und Naturwissenschaften; unterschiedlichemethodische Zugänge zur Wirklichkeit und ihr jeweili ger ErklärungsanspruchDer hier vorgelegte Unterrichtsentwurf geht von diesem The menfeld E2.1 aus und hat Aspekte der anderen vier Themen felder eingeflochten. Das methodisch-didaktische Vorgehenkann am besten mit einem immer wieder neuen „Heranschlei chen“ an die Wahrheitsfrage verglichen werden. Es ist be wusst „holzschnittartig“ und kann nicht mehr als ein erstesProblembewusstsein für diese theologischen und philosophi schen Grundfragen schaffen.Mit schülernahen Methoden und Beispielen wird die Fragenach Wahrheit – in Bezug auf die „Wirklichkeit“ wie im Blickauf Texte – immer wieder anders gestellt um zu verdeutlichen,„WAS IST EIGENTLICH WAHR?“ AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS13

WAS IST EIGENTLICH WAHR?wie in den Wissenschaften Zugänge und Wahrheitsbegriffedifferieren und wie Inhalte und Methoden zusammenhängen.Dabei bleibt im Blick, dass diese Zugänge sich ergänzen,aber dennoch nicht wertneutral sind. Unterschiedliche Diszi plinen haben unterschiedliche Welt- und Menschenbilder, mitden entsprechenden Konsequenzen.Die Unterrichtsinhalte sind in mehreren großen Einheiten zu sammengefügt. Wieviel Zeit gebraucht wird, kann – abhän gig von Zwischenfragen, Beispielen, Niveau der Kursgruppeusw. – variieren. Mit kleineren Hausaufgaben (Textlektüreusw.) kann – wenn nötig – die Brücke zur nächsten Stundegeschlagen werden.1. Wie man aneinandervorbeireden kann – oder:„Zugänge zur Wirklichkeit“Kompetenzen: Die Schülerinnen und Schüler könnenerklären, warum Menschen aneinander vorbeireden,wenn sie ihren Zugang zur Wirklichkeit als einzig wahrenverstehen.Der erste Zugang zu diesem Thema (erste Doppelstunde)ist das Lied Romanze der „Wise Guys“ (M1a) (u.a. bei You tube). Es besingt auf lustige Weise einer sehr schülernaheSituation: ein junger Physiker und seine „Angebetete“ be trachten die Wirklichkeit, reden aber völlig aneinander vor bei. Das Lied wird gehört und kommentiert. Weitere Bei spiele können von den Schülerinnen und Schülern erzähltwerden.Auch die Lehrkraft kann Beispiele beisteuern: Ist die Part nerwahl vor allem durch Liebe oder durch Hormone be stimmt? Wie kann bei einen neu gefundenen Gemälde vonRembrandt festgestellt werden, ob es eine Fälschung ist?Durch die Analyse der chemischen Struktur der Farben,durch die Maltechnik, durch den ästhetischen oder öko nomischen Wert des Gegenstandes? Ist die Musik, die ichmag, durch die Klangwellen (Bässe, Rhythmus als Tonwel len), durch die Melodien oder durch die Interpretation desKünstlers bestimmt? Oder hängt es vor allem von meinerStimmung ab, ob ich bestimmte Musik mag (zur Ruhe kom men wollen oder Abtanzen)?Die Schüler werden schnell entdecken, dass die unterschiedli chen Zugänge die „Wahrheit“ auf unterschiedliche Weise fest stellen. Dies wird dann auf die Zuordnung der verschiedenenSchulfächer als „Modi der Weltbegegnung“ angewandt. Dieseergänzen sich und können sich nicht gegenseitig ersetzen.Dazu ist ein kurzer Text von J. Baumert mit Aufgabenstellungin M1b aufgenommen.142. Verstehen durch Kenntnisdes historischen KontextsKompetenzen: Die Schülerinnen und Schüler könnendie zwei Schöpfungserzählungen in Genesis unterscheiden und erklären, in welchem Kontext und mit welchenAbsichten sie geschrieben wurden.In einem nächsten Unterrichtsschritt geht es um den histo rischen Zugang zur Wahrheit. Alle Schülerinnen und Schülerkennen den Satz: „Das kannst du nicht verstehen, wenn dunicht weißt, was dahinter steckt.“ Um sie nochmals diese Er fahrung machen zu lassen, bekommen sie den WhatsAppDialog von Markus und Sophie (M2). Die Andeutungen undAbkürzungen lassen unterschiedliche Interpretationen offen,wozu die Schüler Vermutungen anstellen. Die Wahrheit kannanschließend nur durch Informationen über den historischenKontext (Wer ist wer? Was bedeutet was?) erklärt werden:Markus wohnt in der Wetterau, einem ländlichen Gebiet nördlich von Frankfurt. Sophie wartet im Nordender Stadt an der Endstation der U-Bahn Linie 6, umzusammen auszugehen. Markus kommt später, wegen MKS: Maul- und Klauenseuche beim Vieh. Diesegrassiert auf dem Land und es gibt Absperrungen undStraßenkontrollen um der Ausbreitung vorzubeugen.Die B 521 ist die durchgehende Straße, die laut Sophiefrei sein müsste. Sie hat es aber nur gehört. Markusschreibt aber, dass er dort auch schon versucht hatschneller nach Frankfurt zu kommen, es aber auchauf dieser Straße Kontrollen und Blockaden gibt under also nicht schnell durchkommt. Sophie regt sichaber auf über Kirsten, Markus Schwester. Kirsten hatauch vermutet, dass die Straße B 521 frei wäre. Sophiefürchtet, dass Kirsten dabei ist und ihre Pläne, Markuszu erobern, durchkreuzen könnte. Markus hat Kirstenaber nur mitgenommen, weil sie zu Marie, ihrer Freundin in Frankfurt gehen wollte, darum ist es kein Problem. Dann bricht Sophie ab, weil die U-Bahn gleich losfährt. Auf die Frage von Markus, wo sie sich dann treffen, schreibt Sophie, dass sie zuerst zum „Café KoZ“im KommunikationZentrum auf dem Uni-Campus Bockenheim (Mertonstraße) geht, wo sie beide eigentlichimmer zuerst hingehen.Die Einsicht, dass man für das Verstehen von Texten die Hin tergründe kennen muss, wird nun angewendet auf das Bei spiel dreier Schöpfungsgeschichten: die zwei biblischen unddie babylonische Schöpfungserzählung „Enuma Elisch“ (M3und M4). Ziel ist einerseits zu verdeutlichen, dass es in derBibel nicht nur eine Schöpfungserzählung gibt (dies wird auchbei „Gattungen“, siehe unten, aufgegriffen) und dass die jünge re Schöpfungserzählung vor ihrem babylonischen Hintergrundverstanden werden sollte.AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS „WAS IST EIGENTLICH WAHR?“

WAS IST EIGENTLICH WAHR?Die Antworten in der Tabelle können in etwa lauten:Die Menschenschöpfung,Garten Eden (jüngere biblis che Schöpfungserzählung)Gen 2,4b-25Götter schaffen die Erde.Babylonische Schöpfungser zählung. Enûma elîschDie Schöpfung der Welt in 7Tage und der Sabbat (älterebiblische Schöpfungser zählung) Gen 1,1-2,4a1. Was war am allererstenAnfang?Wüste Als Erstes fällt Regen.Apzu (Erzeuger) undTiamat (Urmutter)Chaos/UrflutAls Erstes kam Licht/Firmament2. Wie wird der höchste Gottbezeichnet?Gott der HERR. HERR JHWH(Jahweh: der, der ist und dabeiist)600 Götter und DämonenEa Richter, Marduk Sohn EasGott (Elohim), Gott herrscht undschafft durch Befehl (Wort)3. Welche Rolle haben dieSterne?(keine)Zeichen der GötterLampen am Firmament Licht fürdie Nacht4. Warum wurde der Menscherschaffen?Menschen sollen das LandbearbeitenUm den Göttern die Mühen undLasten abzunehmenUm die Erde in Besitz zunehmen. Lasst UNS Menschenmachen5. Wie erhält der Mensch seineLebendigkeit?Aus Erde (Adama) macht er denMensch (Adam) und bläst ihmLebensatem (Nefesh: Seele) ein.(Mensch ist etwas Schönes ausBlut und Knochen)(Er ist lebendig weil er vom leb endigen Gottgeschaffen wurde.)Gott segnet ihn.6. Wozu ist der Mensch auf derWelt?Um den Garten zu pflegen.Mann und Frau. Beziehungen!Um den Göttern die Mühen undLasten abzunehmenErde bebauen und bewahren7. Was ist das Verhältnisvon Gott/den Göttern zuden Menschen?Er gibt ihnen eine Lebensauf gabe. BeziehungSklaven der GötterMensch ist Gottes-Ebenbild „Seelenverwandtschaft“(Mit-Schöpfer)Nach der Erarbeitung kann als Fazit z. B. formuliert werden,dass man die biblischen Geschichten nur verstehen kann,wenn man die Entstehungszeit und den Kontext kennt. Gen 1ist die jüngere Schöpfungserzählung und kann als Gegenent wurf zu Enuma Elisch verstanden werden. Die Erde entstehtin der Bibel nicht aus Göttern, sondern aus dem Nichts. Gottschafft aus dem Chaos eine gute Ordnung. Der Mensch hat– nach der Bibel – in seinem Wesen eine Ähnlichkeit mit Gott:er will schaffen und gestalten. Ihm wird darum der Auftrag zu getraut, diese Welt sorgfältig zu bebauen und zu bewahren. Erist kein Sklave der Götter. Die Schöpfungserzählungen wollennicht in erster Linie das WIE, sondern das WOZU des Lebensund der Menschen erklären.Gattungen in Medien, Literatur und BibelMit dem Vergleich der biblischen und babylonischen Schöp fungserzählungen haben die Schülerinnen und Schüler eineerste Erfahrung mit der historisch-kritischen Methode der Bi belexegese gemacht. Diese Methode wurde seit Mitte des 19.Jahrhunderts entwickelt, als das Fach Geschichte sich in derWissenschaft zur wichtigen Leitwissenschaft entwickelt hatte.„Wissen wie es gewesen ist“ (L. von Ranke) war oft das Kri terium für Wahrheit und galt als letztes Argument um etwaszu verstehen. Die Ergebnisse der historisch-kritische Exege se (Textkritik, Quellentrennung, soziale und politische Umweltusw.) gelten bis heute als Standard in den biblischen theologi schen Fächern und die anderen exegetischen Zugänge bauendarauf auf. Als am Anfang des 20. Jahrhundert die Naturwis senschaften zur Leitwissenschaft wurden, entwickelte sich inder historisch-kritischen Exegese die Literarkritik. Sie betonte,dass nicht alle biblischen Texte auf ihre Historizität zu befragensind, sondern dass man zum Beispiel zwischen Gattungen un terscheiden muss.Didaktisch kann dieser zweite Zugang mit einer SammlungGlasgefäße erklärt werden (siehe Bild). Die Schülerinnen undSchüler werden gebeten zu erraten, was in welche Flaschegehört. Es leuchtet ein, dass man Bier nicht in eine Weinfla sche füllt, dass Milch nicht in ein Remouladenglas gehört undSchnaps nicht in ein Joghurtglas usw. (Als kleine Zwischenfra „WAS IST EIGENTLICH WAHR?“ AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS15

WAS IST EIGENTLICH WAHR?ge kann diskutiert werden, ob man eine Beziehung per SMSbeenden darf ). Ebenso gibt es unterschiedliche Gattungenim Fernsehen: Krimi, Nachrichten, Satire, Talkshow, Spielfilmusw.Danach werden die Schüler gefragt, welche unterschiedlichenGattungen in der Bibel vorkommen. Sie können nennen: Psal men (Lyrik), Prophetie, Briefe, Evangelien, Weisheitssprüche,Novelle (Jona), historische Bücher (Kön, Sam, Apg), Parabeln(Gleichnisse), Wundererzählungen usw.Die Aufgabe lautet dann zu analysieren, in welchen Gattungenin der Bibel über die Schöpfung berichtet wird. Dazu verglei chen sie Gen 2, Ps 104 und Gen 1. Gen 2 ist eher eine mytho logische Erzählung oder „Urerzählung“. Ps 104 ist Lyrik zumLob des Schöpfers. Gen 1 ist ebenso ein Gedicht – mit siebenStrophen, was man schon daran sieht, dass sie alle identischenden. In modernen Bibeln wird dies auch typografisch klar,weil der Text als Gedicht gesetzt ist. Als Fazit kann an der Tafelnotiert werden, dass Gen 1 das Staunen über die gute Schöp fung und über den guten Schöpfer in lyrischer Form ausdrü cken will und keine (natur-)wissenschaftliche Erklärung vomWIE der Weltentstehung ist. Wir sprechen darum weder vomSchöpfungsmythos, noch von der Schöpfungsgeschichte,noch vom Schöpfungsbericht.Auf dieser Basis kann dann genauer in den Bibeln nachge schaut werden, wie der „Textapparat“, die Fußnoten, die Glie derung, die Überschriften, die Karten, die Register, das Stich wortverzeichnis und die Sacherklärungen helfen, die Textebesser zu verstehen. Geeignet ist dafür die „Gute NachrichtBibel“.1 Anhand des Apparates von Gen 1 und 2, der viele kon krete Beispiele bringt, kann der Nutzen verdeutlicht werden.3. Wie denken die Naturwissen schaften, wie die Theologie?Kompetenzen: Die Schülerinnen und Schüler könnenerklären, wie die Naturwissenschaften ihre Theorien entwickeln. Sie können erläutern, wie Theologie (Bibel) undNaturwissenschaften (Darwin) zwei sich ergänzende Zugänge zur und Deutungen von Wirklichkeit sind.Im nächsten Schritt wird nun erkundet, wie die Naturwissen schaften nach Erkenntnis und Wahrheit in der „Natur“ (alsonicht in der „Schöpfung“) suchen. Angefangen werden dieDoppelstunden mit der Projektion des Bildes „Die ‚Netze‘ derWissenschaft“ (M5). In einem Klassengespräch versuchen dieSchülerinnen und Schüler das Bild zunächst zu beschreibenund zu deuten. Dass man ein Netz braucht, um etwas zu fan gen und wie ein Netz wirkt, kann mit Beispielen erläutert wer den. Z. B. das Suchen nach bestimmten Steinen in einer Kiste116Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2000ff., ISBN 3-438-01672-9.mit Lego: Wer nicht gezielt sucht, findet nichts. Wer gezieltsucht, findet anderes nicht.Weil die Naturwissenschaften in hohem Maße mit mathema tischen Formeln arbeiten, muss auch die Mathematik als Ab straktion erklärt werden. Man kann z. B. drei willkürliche Ge genstände (Stift, Ranzen, Wörterbuch) auf den Tisch legenund bis drei zählen. Dann drei andere (Mülleimer, Handy, Reli gionsbuch) und sagt 3 3 6. Es zeigt, dass Zahlen den Vorteilhaben, dass man (fast) alles in Zahlen ausdrücken kann, aberdass sie nur einen entfernten Bezug zur Wirklichkeit darstellen.Dass Zahlen nicht immer hilfreich sind, kann man am Beispiel„Wie viel liebst du mich?“ diskutieren. Oder an der Frage, obdie sogenannte ‚gefühlte‘ Temperatur für dich die gleiche istwie für mich? usw.Dann wird M6 ausgeteilt, der Text von Hans-Peter Dürr gele sen und erläutert.Mit einer zweiten Textarbeit zu den (nicht einfachen) Ausfüh rungen von Helmut Fischer (M7) wird das Verhältnis von Na turwissenschaften und Theologie besprochen. Dabei sollte M7zuerst als Hausaufgabe gelesen werden; in der Unterrichts stunde wird dann Aufgabe 1 in Zweiergruppen bearbeitet, an schließend absatzweise der ganze Text gelesen und erklärt.Danach formulieren die Schülerinnen und Schüler in Vierer gruppen eine Antwort auf Frage 2. Die Thesen werden an dieTafel geschrieben und im Plenum besprochen (und Fehler,wenn nötig, bereinigt).Einige Schülerbeispiele von zusammenfassenden Thesenzum Text von Helmut Fischer: Die Naturwissenschaften haben an sich nichts Religiö ses, Göttliches oder Heiliges. Sie sind ein eigener Zu gang zur Wirklichkeit und verstehen die Natur aus ihrereigenen Methode heraus und diese ist nicht religiös. Je mehr die Naturwissenschaften sich entwickelten,desto stärker wurde die Existenz Gottes in Frage ge stellt. Im 20. Jahrhundert wurden sie sich aber bewusst,dass sie nicht die einzig wahre Erklärungsmethode fürdie Wirklichkeit sind, und sich bewusster über ihren ei genen Zugang. Die Naturwissenschaft kann die Existenz Gottes wederbelegen, noch widerlegen. Wir sollten uns nicht für eineneinzigen Zugang zur Wirklichkeit bzw. eine einzige Wis senschaft entscheiden, ohne diesen (d.h. seine Methodeund was man damit „fangen kann“; vgl. Netz des Physi kers) zu reflektieren. Naturwissenschaft spricht die Sprache der Mathematikund entwickelt mathematische Theorien um die Wirklich keit zu erklären (z. B. Wetter-Vorhersage-Modelle). Reli gion ist ein anderer Zugang zur Wirklichkeit und schautdarum anders (z. B. Schönheit; Dankbarkeit; Trost)Alternative Texte finden sich in den Beiträgen von J. Walldorf(M6, M7 und M9) und U. Reinhardt (M8-11).AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS „WAS IST EIGENTLICH WAHR?“

WAS IST EIGENTLICH WAHR?hen und anschließend nacheinander hereingerufen. Der/dieerste Schüler bzw. Schülerin soll die auf einzelnen Kärtchengeschriebenen Ziffern von Reihe I vorlesen. Die anderen be obachten, was passiert, verraten aber nichts. Das letzte Sym bol 0 wird höchstwahrscheinlich als Null gelesen. Die zweiteSchülerin wird hereingerufen und bekommt die Buchstabender Reihe II zu lesen. Das letzte Symbol 0 (das gleiche wieaus Reihe I) wird wahrscheinlich als Buchstabe O gelesen.Ebenso wird den nächsten Schülern bzw. Schülerinnen dieReihe III und IV gezeigt, dabei werden sie wahrscheinlich dasgleiche Symbol abwechselnd als B oder als 13 lesen, wenndie anderen Buchstaben in der vergleichbar verfremdetenSchriftart gestaltet sind. Dann erfolgt das Experiment noch mals mit den vier anderen Schülern.4. Wahrheit, Wahrnehmung undErkenntnisKompetenzen: Die Schülerinnen und Schüler könnendrei erkenntnistheoretische Modelle unterscheiden undihre Ausgangpunkte und Absichten erklären.Die Doppelstunde zur Erkenntnistheorie kann mit einfachenWahrnehmungsübungen anfangen: Kippbilder, optische Täu schungen, die Brechung eines Bleistifts in einem Glas Wasser;Bilder von M.C. Escher oder Magritte usw. Zum Beispiel Bild Vulkan, Vergleich zweier Kreise(Religionsbuch Oberstufe, Cornelsen 2014, S. 54-55, 59). Escher, Magritte (Kursbuch Religion Sekundarstufe II,Calwer/Diesterweg 2014, S. 10-11)(I)3 - 6 - 8 - 2 - 0(II)A - B - G - N - 0(III)3 - 6 - I8 - 2 - I3(IV)I–I - \/\/ - I\I - I - I3Danach erklären die Schülerinnen und Schülern, die Zuschau er waren, den acht „Vorlesern“, wie das Experiment verlief.Gemeinsam wird überlegt, was es „beweist“. Anschließendkönnen auch andere Beispiele der „Konstruktion“ von Wirk lichkeit gegeben werden, aus denen sich zeigt, dass „Wahr heit“ immer auch mit dem Standpunkt und dem Kontext derKonstrukteure zusammenhängt. Z. B. das aufgeräumte Kin derzimmer in der Sicht der Mutter und des Kindes usw. DasModell kann im Klassengespräch erklärt und mit Textarbeitvertieft werden: P. Watzlawick, E. von Glasersfeld(Religionsbuch Oberstufe, Cornelsen 2014, S. 59-63)Die Schülerinnen und Schüler werden hier selbst auch Bei spiele nennen können, die die begrenzten Möglichkeiten desAuges beweisen.„Ist das, was ich sinnlich erfassen kann, weniger wahr als das,was ich denken kann?“ Diese philosophische, erkenntnisthe oretische Frage ist auf M8 stark vereinfacht auf zwei Modellereduziert. Diese zwei Modelle des Empirismus und des Ratio nalismus/Idealismus können in einem Klassengespräch erklärtwerden. Auch können sie durch Textarbeit erschlossen odervertieft werden, z. B. John Locke, Immanuel Kant(Religionsbuch Oberstufe, Cornelsen 2014, S. 56, 60-61) René Descartes, Empirismus (Kursbuch ReligionSekundarstufe II, Calwer/Diesterweg 2014, S. 24, 26).Um das Modell des Konstruktivismus zu erklären, kann fol gendes Experiment gemacht werden: Acht Schülerinnenund Schüler werden gebeten aus dem Klassenraum zu ge Niklas Luhmann, Matrix (Kursbuch Religion Sek II,Calwer/Diesterweg 2014, S. 24-25) H. Maturana, N. Luhmann (Oberstufe Religion, Heft 1,Wirklichkeit, Calwer 2006, S. 8-9)Bei der abschließenden Frage auf M8 („Vergleichen Sie diedrei erkenntnistheoretischen Ansätze. Was gewinnt man, wasgeht verloren?“) kann insbesondere auf die Vor- und Nachtei le des heute stark verbreiteten Konstruktivismus hingewiesenwerden.2 Man kann zwar nicht verneinen, dass es sich bei derSuche nach Wahrheit immer auch um Konstruktionsprozessehandelt, aber im philosophischen Modell des Konstruktivismusspiegelt sich eine hoch individualistische Gesellschaft wieder.Es ist das Individuum, das die Wirklichkeit in seinen Gedankenkonstruiert. Demzufolge erhalten andere, nicht vom Individu Literatur zur aktuellen philosophischen Debatte um den Konstruktivismus bzw. neuen Realismus: Markus Gabriel, Warum es die Weltnicht gibt. Berlin 2013. Hubert Dreyfuss, Charles Taylor, Die Wiedergewinnung des Realismus. Harvard 2015, Berlin 2016.2„WAS IST EIGENTLICH WAHR?“ AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS17

WAS IST EIGENTLICH WAHR?um bestimmten Phänomene, Strukturen und Prozesse weni ger Aufmerksamkeit. Zudem muss bedacht werden, dass derKonstrukteur nicht als Beobachter außerhalb dieser Prozessessteht. Auch er muss, wenn er konstruiert, offen legen, was seinMovens als Konstrukteur ist. Konstruktivismus hilft einerseitsVerabsolutierungen zu vermeiden. In einem Satz (W. Hollen weger): „Ich weiß nicht was ist, ich weiß nur, was mir begegnet.“Auf der anderen Seite kann er jedoch zu Relativismus führenund sogar zu „nihilistischem Skeptizismus, der jeden Wertmaß stab ausschließt“ (E. Troeltsch). Dies wird vermieden, wenn imKonstruktivismus die Relativität nicht als Subjektivität, sondernals Relationalität aufgefasst wird und nach Konsenswahrheitbzw. intersubjektiver Wahrheit gesucht wird.5. Der hermeneutische ZirkelKompetenzen: Die Schülerinnen und Schüler könnendie drei Schritte des hermeneutischen Zirkels erklären.In der nächsten Doppelstundewerden die Konsequenzen ausdem Konstruktivismus für dasVerstehen von Texten gezogen:der hermeneutische Zirkel. Einedidaktische Annäherung ge schieht mit M9: Die vielen Ge sichter der Tulpe. In die Mitte desKlassenraums wird eine Vase miteinem Bund Tulpen gestellt. DieSchülerinnen und Schüler wäh len eine der sieben Personen undbeschreiben die Tulpen aus der jeweiligen Sicht. Danach wer den die Kurztexte vorgelesen und die andern raten, aus wel cher Sicht hier die Tulpe beschrieben wird. Anschließend wirdbesprochen, was die Übung bezwecken sollte.Die Erkenntnisse aus dem Schreibauftrag werden dann mit derhier abgebildeten Grafik des hermeneutischen Zirkels verbun den. Dies sollte mit Texten vertieft werden, z. B.: Religionsbuch Oberstufe, Cornelsen 2014, S. 99-100zur Paradieserzählung besprochen werden. Suchbegriff: „ge nesis 3 sündenfall interpretation“. Abschließend kann nun derArbeitsauftrag „Deutung der Ganzschrift Jona“ gegeben underläutert werden: M11.6. Schöpfung, Fundamentalismusund Kreationismus?Kompetenzen: Die Schülerinnen und Schüler könnendas biblisch-christliche Menschenbild (Geschöpf, Ebenbild Gottes) von einem biologistischen Menschenbild(Natur, Lebewesen mit mechanischen und chemischenProzessen) unterscheiden. Sie können erklären, was Kreationismus (bzw. ID) ist und will und was der Sozialdarwinismus beabsichtigt. Sie können erklären, welche Folgensozialdarwinistische und kreationistische Einseitigkeitenhaben und einen eigenen Standpunkt dazu einnehmen.Um die Schülerinnen und Schüler weiter von der Notwendig keit einer Kontextualisierung zu überzeugen, wird die Übung„Fragen an Dr. Laura“ gemacht. Siehe: www.bibel.com/faq/offener-brief-an-dr-laura.html. Die Schüler überlegen, war um in all diesen Fällen eine biblizistische buchstabengetreueDeutung von biblischen Texten für heute nicht gelten kann.Schwerpunkt dieses nächsten Schrittes in der Unterrichts reihe ist aber ein zweites Thema: die (möglichen) Konse quenzen von Theologie und Naturwissenschaften für dasWelt- und Menschenbild. Bisher wurden die Unterschiedezwischen den verschiedenen „Modi der Weltbegegnung“ alskomplementär gedeutet, hier müssen nun aus didaktischenGründen zwei Positionen aufgegriffen werden, bei denennicht das Ergänzende, sondern das Gegensätzliche betontwird: Kreationismus und Sozialdarwinismus.Zu den verschiedenen Formen des Kreationismus kann zuerstein Text gelesen werden, zum Beispiel aus dem „ReligionsbuchOberstufe“ (Cornelsen 2014), S. 81. Die Fragen sind hier:1.Was ist Kreationismus?2.Welche Inhalte verkündet diese Auffassungund warum?3.Was ist „Intelligent Design“?(deutsch „Spezifisches Design“)4.Welche Argumente führt „Intelligent Design“für seine Position an?5.Welche Argumente könnten gegen diese zweiTheorien vorgebracht werden? Kursbuch Religion Sek II, Calwer/Diesterweg 2014, S. 33Um die gewonnene Erkenntnis praktisch anzuwenden, wirdanschließend Gen 3 nach den drei Schritten des hermeneu tischen Zirkels gedeutet. Für den zweiten Schritt, in dem esum den Autor und die Hintergründe des Textes geht, kann aufden sog. „Textapparat“ (vgl. oben bei 2.) und zusätzlich auf dasArbeitsblatt M10 zurückgegriffen werden.Ein zeitgemäßes aktuelles Verstehen (dritter Schritt) kann inKleingruppen (oder als Hausaufgabe) erarbeitet werden (vgl.dazu M11). Auch können zwei Auslegungen aus dem Internet18Auch Auszüge aus dem EKD-Text 94 zu „Weltentstehung,Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule“ (onlineverfügbar über die EKD) eignen sich als Einführung gut.AUS DER PRAXIS FÜR DIE PRAXIS „WAS IST EIGENTLICH WAHR?“

WAS IST EIGENTLICH WAHR?Die kontroverse Debatte wird mit dem Thesenspiel auf M12nach der Methode „Quattro-Plus“ durchgeführt. Dazu musszuerst der Sozialdarwinismus als frühe Konsequenz aus demEvolutionismus erläutert werden. Er wird zwar heute nicht mehrvon Evolutionisten vertreten, macht aber die weitgehendenKonsequenzen einer bestimmten Sichtweise für die Gesell schaft klar. Die Thesen sind so plakativ, dass eine Differenzie rung nach dem Spiel einfach zu leisten ist.Erst hier in der Unterrichtsreihe wäre es möglich eine Klausurzu platzieren, in der es um die Überprüfung der Kompetenzengeht. Viele Texte in der hier erwähnten Literatur eignen sichdazu.7. Bibel, Bibeldeutung,Bibel und KoranLiteratur:Vor diesem Hintergrund können in der weiteren Unterrichts reihe nun noch einige andere notwendige Aspekte zum Um gang mit der Bibel und zur „Wahrheit der Bibel“ angespro chen werden:InhaltMethodeBibliolog als narrative Ausle gungsmethode (Gen 4,1-16und Mk 2,1-12)Bibliolog (Ausbildung:siehe: www.bibliolog.de)Die Entstehung der Bibel.(Jesajarolle; Qumran usw.)Besuch Bibelhaus –Erlebnismuseum,Metzlerstraße 19, FrankfurtIst die Bibel ein Märchen buch? Die Wahrheit derBibel.Textarbeit (M14im Beitrag von Reinhardt)Was ist „heilig“? Was machtTexte heilig? Heilige Bücherin den WeltreligionenMindmap an der Tafel,Vergleich der fünf Welt religionenBibel und Koran; Kann mandiese vergleichen?Texte Jona im KoranSynopse Abraham inBibel und KoranWeil zu diesen Aspekten viele Unterrichtsmaterialien und Tex te in den gängigen Oberstufenbüchern und Materialheften zurVerfügung stehen, wird dies hier nicht weiter ausgearbeitet.Zur Beurteilung des Jona-Auftrages kann das Schema in M13hilfreich sein.Einige Unterrichtsthemen können, wenn sie hier nicht mehrunterzubringen sind, auch in die Q1 hineingenommen werden:Synopse, Zwei-Quellen-Theorie, Jesus im Koran. Ulrike Baumann, Friedrich Schweitzer (Hg.),Religionsbuch Oberstufe. Berlin 2008(1), 2014(2) Harmjan Dam, Björn Uwe Rahlwes, SchönbergerImpulse. Praxisideen Religion: Anderes entdecken –Eigenes vergewissern: Bausteine für einen pluralitäts fähigen Religionsunterricht. Frankfurt 2008(Bibel & Koran!) Harmjan Dam, Selcuk Doğruer, Susanna FaustKallenberg, Begegnung von Christen und Muslimenin der Schule. Eine Arbeitshilfe für gemeinsamesFeiern. Göttingen 2016 (u.a. Bibel & Koran) Veit-Jakobus Dieterich, Wirklichkeit.Oberstufe Religion Heft 1. Stuttgart 2006 Helmut Fischer, Schöpfung oder Urknall Schöpfungund Urknall: Klärendes für das Gespräch zwischenGlaube und Naturwissenschaft, Zürich 2009 Hanno Hagemann, Naturwissenschaft und Glaube.Themenheft Oberstufe. Vandenhoeck & Ruprecht2013 Bernd Niss, Oliver Friedrich, Naturwissenschaftund Glaube. Themenhefte Gemeinde.Bergmoser & Höller 2008 Religion 5-10. Was bringt mir die Bibel? Heft 9.Friedrich Verlag Velber, 2013 Hartmut Rupp, Veit-Jakobus Dieterich (Hg.)Kursbuch Religion Sekundarstufe II,Stuttgart/Braunschweig 2014 Stefan Jakob Wimmer, Stefan Leimgruber,Von Adam bis Mohammed. Bibel und Koranim

Vergleich von Schöpfung und Evolution als kom plementäre Erklärungen von Weltentstehung (z. B. Vergleich biblischer Schöpfungserzählungen in Gen 1 und 2 und Psalm 104, Anliegen von unter schiedlichen Schöpfungsentwürfen und von Welt entstehungstheorien) Theologie und Naturwissenschaften; unterschiedliche