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www.haufe.de/immobilien1047 SEITEN EXKLUSIVZUR MESSEimmobilienwirtschaft2017IMPULSE FÜR INSIDERSTRATEGIE DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK Null Zinsen, null Verstand?GESETZESÄNDERUNG VERPUFFT Mieterstrom lohnt sich immer noch nichtPERSONAL & KARRIERE Der Chief Data Officer hält endlich EinzugPROPTECHSNur zehn Prozent sindHigh PotentialsMat.-Nr. 06228-5204

EDITORIALwww.haufe.de/immobilien 10.20173Abenteuerurlaub zu Hause„Das Landgericht Berlin hält dieMietpreisbremse zwar für verfassungswidrig. Aber sie hat dasZeug zu Großem. Sie vermag dieKommunikationskultur zu retten.Zumindest in Deutschland .“Dirk Labusch, ChefredakteurLiebe Leserinnen, liebe Leser,heute kann man alles wissen. Der 45-Grad-Winkel-Blick aufs Phone machtklug. Mein Sohn fragt, wozu eigentlich lebenslanges Lernen, wenn Siri undAlexa alles beantworten? Um etwas Unerwartetes zu erleben, fuhren wir ohneHilfsmittel in Urlaub. Mit dem Wohnmobil durch Norwegen, ohne WetterApp, ohne Standort-Such-App, ohne Navi. Wir suchten viel, fragten, erlebten.Wir kamen Offline ins Gespräch. Es scheint zu stimmen, das alte HägarBonmot: „Unwissenheit ist die Mutter aller Abenteuer.“Sollte das Leben nicht wenigstens ein kleines Abenteuer sein? Wieder zuHause, lese ich oft, man solle die Mietpreisbremse (MPB), die, trotz Siri,von Unwissenden entwickelt worden sei, abschaffen. Da ich, siehe oben, aufIgnoranz nichts kommen lasse, forschte ich nach. Und fand heraus: MPB hatAbenteuerpotential. Wer gelangweilt aus dem Urlaub zurückkommt – vielleicht war er mit Alexa unterwegs –, kann in der MPB das Kribbeln finden:Die Suche nach einer Vergleichsmiete ist Abenteuer pur! Oder das Kreuzverhör, bei dem der Mieter vom Vermieter die frühere Miethöhe herauspressenwill! Kurzweil ist garantiert, wenn Mieter versuchen, zu viel gezahlte Mietezurückzuverlangen.Investieren gar Eigentümer nicht mehr in ihr Haus, weil sie die Miete kaumnoch erhöhen dürfen, hat das auch Vorteile. Droht der Putz erstmal nachhaltig zu bröckeln, werden Spaziergänger nicht mehr nur auf ihr Smartphonestarren, sondern öfter den Blick heben aus Sorge, etwas könnte herunterfallen.Es ist ein viel geschmähtes Gesetz, das uns möglicherweise eine verloren geglaubte Art der Kommunikation zurückbringt – und Sie sind dabei gewesen!Ihr

4INHALT10.2017Szene PROPTECHSVIEL HEISSE LUFT – MANCHMAL MEHRWERTPropTechs rücken in den letzten beiden Jahren stark inden Fokus des Immobilienmarktes. Doch eine Untersuchungvon Deloitte ergab: Nur zehn Prozent sind High Potentials.Was also steckt hinter dem Hype?88INVESTMENT & ENTWICKLUNG08SPECIAL EXPO REALWohnungsmarkt & Gesellschaft Die Anforderungen an Immobilienverändern sich 10Intro & Grußwort 20Szene24Raus aus dem negativen Image! Über die Immobilienbranche wirdselten positiv berichtet – wie lässt16sich das ändern? Der ultimativeMesse-Rundgang 28 Haufe am BID-Stand 34Null Zinsen, null Verstand? Über die Politik der EZB 36Risikomanagement für Banken Die neuen Herausforderungen dergewerblichen Immobilienfinanzierer 38Alternativen für WohninvestmentsInterview mit Lahcen Knapp, Empira 43Investmenttreiber Deutschland Der Immobilienmarkt in Europa 44Mangelware Wohnbauflächen Wie die Nassauische Heimstätte die47Herausforderungen meistert Entwicklungen statt Einkauf Weil das Angebot rar ist, müssenImmobilien-AGs neue Wege gehen 48Wertschöpfung verlängern Warum Developer dasFondsgeschäft entdecken 50Innovationen im Wohnungsbau Interview mit Steffen Göbel, WSP 52ABBA-Strategie im Fokus Was sind Chancen und Risiken? 54Gesundheit und Pflege Investitionen in Sozialimmobilien 56Maschine statt Mensch Was bringt die Automatisierung? 58Transformation leicht gemacht Darauf sollten Unternehmen achten 60Software-Aussteller 64Kolumne Eike Becker 66Fotos: GUGAI; Hennadii Filchakov/shutterstock.comMARKT & POLITIK

www.haufe.de/immobilien 10.2017RUBRIKEN:Editorial 03; Online 06; Deutscher Verband 15; RICS 18; Tipps, Humor, Meinung 110;Termine 112; Vorschau, Impressum 113; Mein liebster Urlaubsort 114VERMARKTUNG & MANAGEMENTTECHNOLOGIE, IT & ENERGIESzene Szene 68Mobil statt analog Welche Apps den Makler wirklichmobil machen 86TITELTHEMA70Zukunftstrends im Verwalterberuf Ein Gespräch anlässlich desDeutschen Verwaltertags 72Gesetzesänderung ohne Wirkung Modelle von Mieterstrom habenhohes Potenzial, lohnen sich aberkaum 76Das Maklerurteil Die Reservierung der Immobiliedarf etwas kosten PERSONAL & KARRIERE80Aktuelle Rechtsprechung Entscheidung des Monats:Anspruch von Wohnungseigentümerauf zweiten Rettungsweg 81Bloß zehn Prozent High Potentials Exklusive Ergebnisse einerUntersuchung von Deloitte 88Szene Mehr Bindung, mehr Rendite Warum sich Familienfreundlichkeitauch für Unternehmen auszahlt 103Neue Position CDO Was macht ein Chief Data Officer? 106First Mover oder First Follower Oft gilt jedoch die Kooperation miteinem Start-up schon als Teil einerDigitalisierungsstrategie 94„Ich war immer ungeduldig“Jan-Christoph Maiwaldt überdie Strategie der Kalorimeta AG 96Hype, Bedrohung oder Chance? Möglichkeiten von Blockchain 98Start-up-Serie Inreal Technologies GmbHaus Karlsruhe 100BEDROHUNGODER CHANCE?Blockchain ermöglicht exakteDatenerfassung und schnelleAbrechnung. Erste Anwendungen in der Energiewirtschaft gibt es. Und was machtdie Immobilienwirtschaft?76MIETERSTROMDas Potenzial ist hoch: 3,8 Millionen Mieterhaushalte könnten kostengünstigen Solarstrom vomDach beziehen. Doch der Riese schläft noch.981025

RSOCIAL NETWORKFACEBOOKBesuchen Sie den Facebook-Auftrittdes Fachmagazins „Immobilienwirtschaft“ und werden Sie Fan!Wohnungsüberlassung bei ScheidungMehr als ein Drittel aller Ehen wird geschieden. Wenn sich Mieterscheiden lassen, kann das auch Auswirkungen auf das Mietverhältnis über die Ehewohnung haben. So kann sich der Vermieter aufeinmal einem anderen Vertragspartner gegenübersehen. Welcherechtlichen Auswirkungen eine Ehescheidung auf ein Mietverhältnis haben kann, lesen Sie in diesem Top-Thema.XINGIMMOBILIENDas Portal www.haufe.de/immobilien hat auch eine eigene Newsseite im Netzwerk XING. SchauenSie rein und folgen Sie uns auchhier. Wir haben bereits mehr als5.100 Follower!DOSSIERExpo RealMünchen ist der Ort, an dem Jahr für Jahr dieReal-Estate-Kontakte zusammenlaufen. Nationale und internationale Fachleute treffensich zum Stelldichein. 2017 liegt ein Schwerpunkt beim Thema Digitalisierung und technische Innovationen. Im Zentrum steht dasneue Real Estate Innovation Network (REIN).Was sonst noch geboten ist, lesenSie in unserem Dossier unterwww.haufe.de/exporeal.Fotos: Alex Schelbert - Messe München GmbH6

8SZENEMarkt & PolitikKOLUMNEKooperationenstatt WerkswohnungenSingle-Haushalte –EU: Norden schlägt SüdenIm Schnitt der 28 EU-Länder gab es zuletzt 33 Prozent Einpersonenhaushalte, die meisten davon in Schweden. Rund 49 Prozent der Schwedensind mit ihrer Wohnsituation sehr zufrieden – noch bessere Werte erzielenlediglich die Finnen, Dänen und Österreicher. In Deutschland gab es 2016rund 41 Prozent Singlehaushalte. Damit ist der Einpersonenhaushalt deram häufigsten vertretene Haushaltstyp.415238SCHWEDEN4343Frank Peter UnterreinerLITAUENDÄNEMARKUnternehmen beklagen, ihre Mitarbeiterfänden in den wirtschaftsstarken Städtenkeinen Wohnraum mehr – es sei daherimmer schwerer, neue Mitarbeiter zubekommen. Beschäftigte müssen teilsaus dem Umland einpendeln, von der imWortsinne auf der Strecke gebliebenenLebenszeit ganz zu schweigen.Der Bau von Mitarbeiterwohnungenwird wieder diskutiert. Im Grunde nichtsNeues, das gab es schon, vor allem zuBeginn der Industrialisierung und nachdem Zweiten Weltkrieg. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich viele Unternehmen von diesen Beständen ganzoder weitgehend getrennt. Sie haben dieErlöse in ihr Kerngeschäft investiert undargumentiert, dass das Bewirtschaftenvon Wohnraum nicht dazu gehört.Diese Argumentation hat nichts vonihrer Richtigkeit verloren. Deswegenwäre es klüger, statt eine Renaissance desWerkswohnungsbaus zu fordern, übereine Kooperation mit der Immobilienwirtschaft nachzudenken. Zum Wohlebeider Seiten. Und bei Mietwohnungenebenso wie bei Eigentumswohnungen.Wenn beispielsweise ein renommiertes,37NIEDERLANDE36LUXEMBURGESTLANDAnzahl derSinglehaushalte41Angaben in ProzentDEUTSCHLAND37ÖSTERREICHsolides Unternehmen vom Plan weg dasgesamte Gebäude oder zumindest dieMehrzahl der Wohnungen für zehn Jahre anmietet, dürfte die Bauträgerfinanzierung kein Problem und der Verkaufan den Endinvestor zu einem etwashöheren Preis möglich sein, schließlichhat er Planungssicherheit für die Zeitder Anmietung. Oft scheitert der Bau inder Stadt an fehlenden oder zu teurenGrundstücken. Wenn das Unternehmensich im Umland genügend Wohnraumsichert, kann es einen Busshuttle zurArbeitsstätte organisieren. Das ist wirtschaftlicher, als wenn jeder Mitarbeiteralleine im Stau steht, umweltfreundlicher35SLOWENIENund bequemer. Im Silicon Valley ist dasüblich, die Arbeitszeit beginnt dann oftschon im Bus mit dem aufgeklapptenNotebook.Viele Mitarbeiter können sich heutekein Wohneigentum leisten, weil ihnendas Eigenkapital von 20 oder 30 Prozentfehlt. Die monatliche Rate ist dankniedriger Zinsen weniger das Problem.Warum stellen Unternehmen kein Mitarbeiterdarlehen oder eine Bürgschaftin Höhe des fehlenden Eigenkapitals zurVerfügung? Es würde Mitarbeiter motivieren, binden und sich schon darumrechnen. Eine Chance – die Wohnungswirtschaft müsste sich nur kümmern.Grafik: Immobilienwirtschaft; Quelle: Eurostat / 2017 IW Medien / iwdFINNLAND

www.haufe.de/immobilien 10.2017GRUNDERWERBSTEUER: NRW WILL FREIBETRÄGE ERMÖGLICHENDie neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat eine Bundesratsinitiative gestartet, die privaten Eigenheimerwerbern hoheFreibeträge bei der Grunderwerbsteuer von bis zu 250.000 Euro pro Person ermöglichen soll. Die Höhe des Freibetrags sei im Antrag offengelassen, teilte ein Sprecher des Ministeriums mit. Politisches Ziel bleibe aber die im Koalitionsvertrag angekündigte Höhe von 250.000 Euro pro Person.Mehrere Parteien hatten sich im Bundestagswahlkampf für einen Freibetrag ausgesprochen.24. HANDELSBLATT JAHRESTAGUNG IMMOBILIENWIRTSCHAFTBusiness-Event für EntscheiderDer Fokus der Veranstaltung liegt am ersten Konferenztag auf der Frage „Waserwartet uns nach der Bundestagswahl?“ (Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt,DekaBank Deutsche Girozentrale Anstalt des öffentlichen Rechts), aber auchauf der Restrukturierung von Immobilienunternehmen (Michael Nagel, Vorsitzender der Geschäftsführung, LBBW Immobilien Management GmbH),„Immobilienwirtschaft 4.0: Digitalisierung-Baustein Blockchain“ (Prof. Katarina Adam, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin) und „Investmentverhalten: Chancen und Risiken beim Investment in Immobilien“ (Dr.Hauke Brede, Chief Risk Officer, Allianz Real Estate GmbH).Am 7. November wird im Vorfeld der Jahrestagung unter dem Titel „REALNext Generation“ zum ersten Mal einen Treffpunkt für die Next GenerationU40 der Immobilienbranche angeboten.Am 8. und 9. November findet in Berlin diediesjährige Handelsblatt Jahrestagung statt.Folgende Themen werden von hochrangigenReferenten behandelt:› Politische & wirtschaftliche Ausblicke› Alle Assetklassen im Fokus› Digitalisierung & Innovationen› Mietpreisbremse, war es das jetzt?› Finanzierung & InvestmentDas detaillierte Programm der 24. HandelsblattJahrestagung Immobilienwirtschaft 2017 ist abrufbar unter: www.immobilien-konferenz.de9

10 MARKT & POLITIK I HERAUSFORDERUNGENSo wirken gesellschaftliche Trendsauf den WohnungsmarktEntwicklungsprozesse vollziehen sich immer schneller.Die Tendenz ist diametralzum langlebigen Gut Wohnimmobilie. Doch dieses wirdsich ändern müssen: Denndie Anforderungen an eineWohnimmobilie werdenzunehmend von den ThemenDigitalisierung und Individualisierung geprägt.Bei Entscheidungen zurEntwicklung von Immobilien und regionalenRäumen müssen langfristige gesellschaftlicheEntwicklungstrendsberücksichtigt werden.Über Jahrzehnte fand der Wohn immobilienmarkt bei Investorenwenig Beachtung. Der politische Fokus war eindimensional auf den Rückbaugerichtet. Der soziale Wohnungsbau kamzum Erliegen. Demografische (Fehl-)Prognosen bildeten ein Fundament für dasVerhalten. So wurde etwa im Jahr 2000 für2020 ein Rückgang der Bevölkerung umbis zu 29 Prozent für Leipzig und um biszu neun Prozent für Erfurt prognostiziert.Tatsächlich verzeichnet Leipzig einen Zuwachs der Bevölkerung mit Hauptwohnsitz in nur 16 Jahren um 17,5 Prozent undErfurt um 4,8 Prozent.Heute die 180-Grad-Kehrtwende.Wohnimmobilien sind bei institutionellenAnlegern ein interessantes Core-Produktim Portfolio und wecken die Aufmerksamkeit der Politik infolge von Nachfrageüberhängen in Metropolregionen undSchwarmstädten. Kauf- und Mietpreisesteigen, was nicht allein dem Re-Urbanisationsprozess und der damit gestiegenenNachfrage geschuldet, sondern das Resultat aus einer Vielzahl von Faktoren ist wie:›w irtschaftspolitische Rahmenbedingungen, z. B. gestiegene Grunderwerbssteuer und steigende bauliche Anforderungen (z. B. EnEV 2014)› s tark gestiegene Preise für die Erschließung mit Wasser, Abwasser und Strom›k omplexere Planungs- und Genehmigungsverfahren› s teigende Kosten infolge von Bürgerbeteiligungen, Fassadenwettbewerben etc.INVESTITIONSHEMMENDE INSTRUMENTEEs wird mit Instrumentarien reagiert, dienicht an den Ursachen ansetzen und somitauch kaum zur Problemlösung beitragen.Mietpreisbremse, Absenkung der Miet erhöhungsmöglichkeiten zur Anpassungan die ortsübliche Vergleichsmiete von20 auf 15 Prozent, ggf. Absenkung derModernisierungsumlage von elf auf achtProzent, die Ausweitung des Zeitraumsder einzubeziehenden Mietvertragsabschlüsse von vier auf acht Jahre für dieMietspiegelerstellung und Sozialquotenwirken investitionshemmend und damittendenziell kontraproduktiv zur Entspannung der Wohnungsmarktsituation. Auchdie Schaffung des neuen Gebietstyps „Urbanes Gebiet“ ist ambivalent zu werten.Die eindimensionale Betrachtung istauffällig. Die Situation erinnert an dieklassische Schulmedizin. Es wird versucht,das Symptom zu kurieren, aber der ganzeMensch wird dabei außer Acht gelassen.Immobilien sind ein sehr langlebigesWirtschafts- und Konsumgut. Langfris tige gesellschaftliche Entwicklungstrendsmüssen somit bei Entscheidungen zurEntwicklung regionaler Räume und zurEntwicklung von Immobilien berücksichtigt werden. In den weiteren Ausfüh-

www.haufe.de/immobilien 10.2017 11SUMMARY » Konnektivität wird wichtiger: Gesellschaften organisieren sich über Netzwerke.Mit dieser Entwicklung eröffnen sich neue Chancen für Regionen und die Immobilienbranche.» Die individuellen Ansprüche an das Zusammenleben haben sich maßgeblich geändert,nicht aber das Grundkonzept der Wohnung, das aus dem Zeitalter der Industrialisierung stammtund die klassische Familie als Nutzer unterstellt. » Drittverwendungsfähigkeit wird zumgenerellen Anspruch.Fehlprognosen, wie dieüber die boomendeStadt Leipzig, bildetenlange Zeit das Fundament für den Wohnungsbau.rungen wird sich auf die Entwicklungs trends Digitalisierung und Individualisierung konzentriert.MEGATREND DIGITALISIERUNG Unbestrit-ten ist, dass die Digitalisierung sämtlicheLebensbereiche durchdringt und damitauch alle anderen gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse beeinflusst. Innerhalbvon nur zehn Jahren veränderten dasSmartphone und weitere mobile Endgeräte entscheidend die Kommunikationsformen und die Möglichkeiten derInformationsgewinnung. Konnektivitätist das Stichwort, d. h. Gesellschaften organisieren sich in allen Lebensbereichenüber Netzwerke. Terminabstimmungenerfolgen gleichermaßen im privaten wieim dienstlichen Bereich über Netzverbindungen (WhatsApp, Doodle).Informationen zu Fachfragen und zurFreizeitgestaltung werden zunehmendüber das Internet beschafft. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass mittlerweilenicht nur geschäftliche Prozesse im Interesse der Effizienzsteigerung optimiertwerden, sondern auch das gesamte Privatleben. Wenn sich die Formen der Kommunikation verändern, verändern sich auchdie Formen des Zusammenlebens undZusammenarbeitens.Dem hier genannten Aspekt wiederum sollte mit adäquaten Immobilienangeboten Rechnung getragen werden.Mit dieser Entwicklung eröffnen sichneue Chancen für Regionen und für dieImmobilienbranche. Gedacht wird hiernicht nur an das Thema „Smart Home“,das unbestritten einige Chancen beinhaltet, sondern vielmehr daran, dass den »

12 MARKT & POLITIK I HERAUSFORDERUNGENindividuellen Lebensanforderungen mitImmobilien Rechnung getragen werdenkann.TREND INDIVIDUALISIERUNG Der Trendzur Individualisierung ist eine Resultante aus verschiedenen gesellschaftlichenEntwicklungsprozessen. Die Ausprägungindividueller Lebensstile setzt einen hohen materiellen und immateriellen Lebensstandard voraus. In hochentwickeltenVolkswirtschaften bestehen die materiellen Voraussetzungen aufgrund verfüg-baren Einkommens und Vermögens undkönnen die immateriellen Voraussetzungen durch die Tolerierung ganz unterschiedlicher Lebensstile geschaffen werden. Unterschiedliche Lebensstile findenin der Priorisierung der Lebens bereicheund den Formen des Zusammenlebensihren Ausdruck.Die Selbstverwirklichung kann gleichermaßen im Beruf wie im Hobby gesehen werden und ebenso in sehr unterschiedlichen Formen der Partnerschaft.Die individuellen Ansprüche an dasTrend: Die Wohnung wird zumHeadquarter von Kommunikationund Informationsgewinnungwerden. Immobilienbranche undPolitik müssen sich dem stellen.vermarkten. Die Frage ist nur, wie nachhaltig in dem Fall die Vermarktung ist.Wenn sich wissenschaftlich-technischeund gesellschaftliche Entwicklungsprozesse immer schneller vollziehen, ändern sich damit auch in immer kürzerenZeiträumen die funktionalen Anforderungen an die Immobilie.Diese Entwicklung vollzieht sich diametral zum langlebigen Wirtschafts- undSozialgut Wohnimmobilie. Hieraus ergeben sich besondere Herausforderungen andie Investoren. Das Thema der so genannten Drittverwendungsfähigkeit, wie sievon Banken bei langfristiger Darlehensgewährung schon immer erfragt wird, wirdzum generellen Anspruch. Immobilienwerden also so gestaltet, dass auf veränderte Nutzeranforderungen ohne großenbaulichen Aufwand reagiert werden kann.ANFORDERUNGEN AN DIE PLANUNG VONREGIONEN Die aufgeführten Trends füh-29%Bevölkerungsrückgang für Leipzig wurde 2000 prognostiziert.Tatsächlich wächst die Bevölkerung mit Hauptwohnsitz dort um17,5 Prozent. Derartige Fehlprognosen bildeten jahrelang dieBasis für Wohnungspolitik.Zusammenleben haben sich maßgeblichgeändert, nicht aber das Grundkonzeptder Wohnung, das aus dem Zeitalterder Industrialisierung stammt und dieklassische Familie als Nutzer unterstellt.Neben dieser existieren heute Patchwork familien, Alleinerziehende, Singlehaushalte in allen Altersgruppen, Selbstständige bzw. Zweitjobber, für die Wohnenund Arbeiten verschmilzt, sowie pflegebedürftige Personen.Die idealen Wohnvorstellungen sindbei all diesen Zielgruppen differenziert.Das betrifft gleichermaßen die Wohnungselbst wie auch das Wohnumfeld. In angespannten Wohnungsmärkten muss hierauf kaum Rücksicht genommen werden,lässt sich doch jede verfügbare Wohnungren zu veränderten Nutzeranforderungen,die gleichermaßen Lage- und Objekt anforderungen beinhalten.Mit dem Megatrend Digitalisierungist die Megaanforderung nach schnellenInternetverbindungen, das heißt nach hoher Datenübertragbarkeit verbunden. Sowie die Erschließung eines Gebietes mitöffentlichen Straßen, Wasser, Abwasserund Energie zwingende Voraussetzung fürdie Realisierung einer Immobilieninvestition ist, wird der Zugang zum schnellenInternet zu einer gleichwertigen Komponente. Die weitere Entwicklung kleinstädtischer und ländlicher Räume wird ganzmaßgeblich von der Internetversorgungabhängen.Die Wohnung wird zum Headquarterder Kommunikation und Informations gewinnung für alle Lebensbereiche. Damiteröffnen sich gleichberechtigte Chancenfür alle regionalen Lagen und für alleZielgruppen. Lerngruppen können überdas Internet gebildet werden, Berufstätigekönnen teilweise von zu Hause arbeiten,was Zeit- und Kostenersparnis bringt undzudem umweltschonend ist. Gesundheitsdaten können an die Arztpraxis über- »

14 MARKT & POLITIK I HERAUSFORDERUNGENDurch eine ausreichende Versorgung mitBreitbandinternet könnte der ländliche Raumdeutlich aufgewertet werden.mittelt und ausgewertet werden. Kleinstädtische und ländliche Regionen rückenzumindest medial zu Großstädten auf.Möglicherweise wird damit ein ersterSchritt getan, um dem Urbanisierungs trend und den damit verbundenen eingangs geschilderten Problemen entgegenwirken zu können.Natürlich muss parallel dazu in dieVerkehrsinfrastruktur, insbesondere inden öffentlichen Nahverkehr investiertwerden. Ein Thema, das auch unter ökologischen Aspekten aktueller nicht seinkönnte. Hochverdichtete Ballungsräume,die an ihre Grenzen bei der Bereitstellungvon bezahlbarem Wohnraum einschließlich sozialer und Verkehrsinfrastrukturstoßen, können damit entlastet werden.Das setzt allerdings den politischen Willenvoraus, eine solche Entwicklung nachhaltig zu unterstützen.Der eindimensionale Blick auf denWohnungsmarkt im engeren Sinne musszum mehrdimensionalen Blick auf ganzeRegionen mit ihrer Infrastruktur werden.Immobilien für Kindertagesstätten, Schu-AUTORINProf. Dr.habil. Kerry-U.Brauerist Direktorinder StaatlichenStudienakademie Leipzig.len, Arztpraxen und Gaststätten würdenrevitalisiert werden.Möglicherweise schlägt das Pendelauch mal wieder zugunsten suburbaner Räume aus. Wenn die Infrastrukturstimmt, dürfte das eine interessante undvolkswirtschaftlich sinnvolle Alternativesein. Wohnen könnte in dem Fall gleichzeitig Headquarter der Informationsgewinnung und Oase der Entspannung sein.ANFORDERUNGEN AN INVESTOREN Paralleldazu sind mit den gesellschaftlichen Entwicklungstrends Digitalisierung und Individualisierung konkrete Anforderungenan die Wohnimmobilien-Investoren verbunden. Diese Trends erfordern, aus demlanglebigen Gut Immobilie ein flexiblesGut zu entwickeln. Das betrifft die flexibleNutzung von Räumen durch Vermeidunghierarchischer Grundrisse. SämtlicheWohnräume sollten gleichermaßen Erholungs-, Kommunikations-, Informationsund Arbeitszwecken dienen.Die Veränderbarkeit von Grundrissendurch verschiebbare Trennwände erhöhtdie Individualität in der Raumnutzung.Alternativ kann dem durch Trennwändein Trockenbauweise Rechnung getragenwerden. Die Option zur Trennung einergroßen Wohnung in zwei kleine kann beider Planung von vornherein berücksichtigt werden und natürlich auch die umgekehrte Variante.Der barrierearme Zugang ist für alleNutzergruppen vorteilhaft. Erste Entwicklungstendenzen in diese Richtung lassensich bei Neubauvorhaben feststellen,werden aber bei der Modernisierung vonBestandsobjekten bisher wenig beachtet.Damit verbundene höhere einmalige Kos ten können durch nachhaltige Vermietung bei veränderter Nutzeranforderungkompensiert werden. Hinzu kommt derökologische Effekt, dass Umbauten infolgeveränderter Nutzeranforderungen weniger Ressourcen verbrauchen.Und trotz aller Individualisierungunserer Gesellschaft sollte nicht vergessen werden, dass der Mensch ein sozialesWesen ist. Halböffentliche Räume mit derSchaffung von Vorgärten oder der Gestaltung von Innenhöfen bieten Möglichkeiten für Kommunikation. Die trägt ganzmaßgeblich zur sozialen Stabilität vonWohnquartieren bei. Mit einem solchenGebiet kann man sich identifizieren, fürein solches Gebiet übernimmt man gerneVerantwortung.FAZIT: Immobilien sind langlebige Vermögenswerte, die wechselnden Nutzer anforderungen entsprechen müssen.Umso wichtiger ist es, bei der Planung vonRegionen, Städten und Gemeinden sowieder einzelnen Immobilie langfristige Entwicklungsperspektiven im Interesse derErhaltung und Mehrung der Vermögenswerte zu berücksichtigen. Das setzt jedoch einen mehrdimensionalen Blick aufdie gesamtgesellschaftliche Entwicklungvoraus und nicht die einseitige Fokussierung auf einzelne Probleme ausgewählterWohnungsmärkte in Ballungsräumen. «Prof. Dr. habil. Kerry-U. Brauer, Leipzig

www.haufe.de/immobilien 10.2017 15Wohneigentum jetzt fördernDeutscher Verband Politikund Fachwelt fordern schonlänger eine Wiederbelebungder Eigentumsförderung. Soauch der Deutsche Verband.Er hat verschiedene Modelleerörtert und plädiert für möglichst flexible Förderansätze.Foto: DVwww.deutscher-verband.orgOda Scheibelhuber, Ministerialdirektorina.D., Leiterin der Arbeitsgruppe „ifs Wohneigentum“ des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und RaumordnungTrotz der vielerorts gestiegenen Immobilienpreise könnten heute weit mehr MenschenWohneigentum finanzieren als noch vor einigen Jahren. Die Raten für Zins undTilgung sind durch das niedrige Zinsniveau günstig. Allerdings fehlt vielen Haushalten das notwendige Eigenkapital. Familien und Einzelpersonen mit Durchschnittseinkommen tun sich deshalb gerade in Wachstumsregionen schwer. Die im EU-Vergleichniedrige deutsche Wohneigentumsquote von etwa 45 Prozent stagniert. Sie droht sogarzu sinken. Bei den unter 55 -Jährigen ging sie seit 2010 bereits zurück.Dabei entspricht Wohneigentum nach wie vor dem Wunsch der meisten Menschen.Auch für die Vermögensbildung breiter Schichten hat das Wohneigentum eine hoheBedeutung. So haben Wohneigentümer der gleichen Einkommensgruppe im Alter nebenihrer Immobilie auch deutlich mehr Geldvermögen angespart als Mieter. Dadurch istWohneigentum auch für die Alterssicherung unverzichtbar. Zudem trägt Wohneigentumzur Stabilisierung von Stadtquartieren bei. Denn wer dauerhaft im Quartier bleibt, demliegt die Quartiersentwicklung besonders am Herzen. Schließlich entlastet der Bau vonEigentumswohnungen und Eigenheimen auch die Mietwohnungsmärkte.Deshalb sollte die neue Bundesregierung sich dringend auf eine wirkungsvolleWohneigentumspolitik rückbesinnen und bald eine ins Gewicht fallende Eigentumsförderung auf den Weg bringen. Vor allem junge Familien mit durchschnittlichen Einkommen sollten beim Zugang zu einer günstigen, sicheren Wohneigentumsfinanzierungunterstützt werden. Denn außer der Wohnungsbauprämie und der Arbeitnehmersparzulage, die seit Jahren nicht mehr angepasst wurden, gibt es keine Bundesunterstützungmehr. Und auch die Wohnraumförderung der Länder ist für das selbst genutzte Wohneigentum rückläufig. Damit setzt im gesamten OECD-Raum kein einziges Land so wenigstaatliche Mittel für die Wohneigentumsbildung ein wie Deutschland. Befürchtungen,man könnte die Menschen in exorbitante Verschuldungen treiben, entbehren jederGrundlage. Die Deutschen finanzieren ihr Wohneigentum extrem verantwortungsvoll.Seit einiger Zeit diskutieren Politik und Fachwelt verschiedene Modelle der Eigentumsförderung: einen einmaligen Eigenkapitalzuschuss, ein jährliches Baukindergeldoder staatlich garantierte Nachrangdarlehen. Wegen des Zinsniveaus und der Breitenwirkung muss aktuell die Unterstützung bei der Eigenkapitalbildung durch einmaligeoder auf mehrere Jahre verteilte Investitionszuschüsse – gestaffelt nach Kinderanzahl– im Vordergrund stehen. Für bestimmte Fallkonstellationen könnten aber ergänzendeinzelne Bausteine zu flexiblen Programmen mit Wahlmöglichkeiten kombiniert werden. So könnte gerade für einkommensschwächere Haushalte ein Nachrangdarlehenmit langfristig günstigen Zinsen mit jährlichen Sondertilgungszuschüssen ausgestaltetwerden. Oder aber Haushalte können wählen, ob ein Eigenkapitalzuschuss, ein jährlichesBaukindergeld oder ein Nachrangdarlehen für ihre Situation günstiger ist. Hierfür kannauf Erfahrungen aus verschiedenen KfW-Programmen aufgebaut werden, bei denen dieKfW bewiesen hat, dass sie mit flexiblen Modellen arbeiten kann.Entscheidend ist es, dass die Bedingungen der Wohneigentumsförderung so ausgestaltet werden, dass möglichst viele Haushalte von den günstigen Finanzierungskonditionen profitieren können und die Wohneigentumsquote wieder erhöht werden kann. Diessteht nicht in Konkurrenz zur weiterhin notwendigen Stärkung des Mietwohnungsbaus,sondern garantiert den ausgewogenen Mix von qualitativ hochwertigen Mietwohnungenund selbst genutztem Wohneigentum.«Oda Scheibelhuber, Berlin

16 MARKT & POLITIK I KOMMUNIKATIONWerden die richtigen Themen behandelt, Geschichtenerzählt, Personen in denVordergrund gestellt? Überlegungen zum Image einerkomplexen Branche.Die Wahl von Donald Trump zum USPräsidenten hat auch der deutschenÖffentlichkeit neue Einblicke in dieImmobilienwirtschaft vermittelt. DieRede von „guten Deals“ ist der Bevölkerung inzwischen vertraut. Viele Deutschefühlen sich dadurch in ihrer skeptischenSicht auf die Immobilienbranche bestätigt.Die Diskussion um Trump verdeutlicht die zentralen Faktoren für das eherkritische Image der deutschen Immobilienwirtschaft: falsche Themen, falscheGeschichten und falsche Personen bestimmen die Wahrnehmung der Branche. Hiersollen erste Ansätze zur Verbesserung desImages aufgezeigt werden:FALSCHE THEMEN Nimmt man die poli-Der neue Berliner Flughafen:Statt über Green Buildingsoder Nachhaltigkeits-Standardswird in der Öffentlichkeitzu viel über das gesprochen,was nicht klappt tische Diskussion zum Maßstab, ergibtsich ein bedrohliches Themenspektrumfür die Immobilienwirtschaft: Wohnungsnot in Großstädten, „Preisexplosion“ beiEigentumswohnungen, Umgehung derMietpreisbremse, Bauskandale wie amBerliner Flughafen, spekulativer Leer stand, „Gentrifizierung“ etc.Die andere Seite der medialen Medailleist strahlender: Nutzwert-Features überden Erwerb der eigenen Wohnimmobiliereflektiert mit Tipps für den Eigenheim erwerb. So sagten in einer repräsentativenUmfrage 59 Prozent der 18- bis 29-Jährigen, zu den „wichtigsten Dingen im Leben“ gehöre eine „attraktive Wohnung“.Das Medienbild der Immobilienwirtschaft spiegelt durchaus das Begehren fürihre Produkte wider, häufiger jedoch diekritischen Aspekte der Branche. Das Spannungsverhältnis von hohen Geldbeträgen,um die es bei Immobilienprojekten geht,und dem Grundbedürfnis nach einer angemessenen Wohnung für alle Bürger lässtsich speziell in Deutschland, das sich amIdealtypus der „nivell

sitzender der Geschäftsführung, LBBW Immobilien Management GmbH), „Immobilienwirtschaft 4.0: Digitalisierung-Baustein Blockchain“ (Prof. Ka-tarina Adam, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin) und „Invest-mentverhalten: Chancen und Risiken beim Investment in Immobilien“ (Dr.